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Der Mann im Karton

Der Mann im Karton

Titel: Der Mann im Karton
Autoren: Carter Brown
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zog er den Griff ab,
wobei eine degenförmige Klinge aus dem hohen Stock glitt. Er schien auf den
Tisch loszutanzen , und eine Sekunde später spürte ich
eine scharfe Spitze an meinem Hals.
    »Legen Sie auf, Boyd«, sagte er
barsch. »Zwingen Sie mich nicht, Sie zu töten!«
    Es war nicht die rechte Zeit, sich
zu streiten — also tat ich wie geheißen. Kasplin balancierte auf den Zehenspitzen wie ein Ballettänzer ,
und es bedurfte nur einer kaum merklichen Bewegung seines Arms, um mir den
Degen auf einer Halsseite hinein und zur’ anderen hinaus zu treiben.
    »Sie haben eine Frage
vergessen«, meinte er gleichmütig. »Sie haben niemals nach der geheimnisvollen
Mordwaffe gefragt, die an keinem Tatort von der Polizei gefunden wurde.«
    »Das war mein Fehler«, sagte
ich finster.
    Die äußere Tür schlug plötzlich
zu, und eilige Schritte trippelten über den Fußboden. Dann erschien Fran Jordan
im Zimmer, mit einem um Vergebung bittenden Lächeln im Gesicht.
    »Danny...« Sie zuckte die
Schultern. »Tut mir leid, ich habe ja völlig vergessen...«
    Kasplins Lider zuckten, dann begann er
den Kopf in Frans Richtung zu wenden. Ich riß mein edles Haupt mit aller Gewalt
zur Seite, und der schlanke Stahl zischte zwei Zentimeter vor meiner Nase
vorüber. Es blieb keine Sekunde Zeit zum Überlegen, als Kasplins Körper auf mich zu taumelte. Ich packte ihn mit beiden Händen am Jackett und
schleuderte ihn rückwärts über meine Schulter, wobei er durch seinen eigenen
Schwung noch mehr Tempo bekam.
    Er schrie einmal auf, dann
verloren sich seine Töne im Klirren berstenden Glases. Danach blieb es still.
Ich spürte einen kühlen Luftzug im Nacken und drehte mich langsam um. Wo das
Fenster hinter meinem Schreibtisch gewesen war, klaffte ein großes Loch,
eingerahmt von spitzen Glasdolchen.
    Ich ging hin und blickte
hinunter. Eine Menschentraube begann sich schon um den winzigen Fleck auf dem
Bürgersteig zu scharen — sechs Stockwerke weiter unten. Ich fühlte einen
sanften Druck an meinem Arm, als Fran sich neben mich drängte.
    »Ist dir auch nichts passiert,
Danny?« fragte sie mit brüchiger Stimme.
    »Mir geht’s prima, meine
Liebe«, sagte ich. »Du bist weiß Gott im richtigen Moment zurückgekommen. Was
hast du denn übrigens vergessen?«
    »Ich vergaß Margot Lynns letzte
Botschaft. Sie sagte, sie führe jetzt in ihre eigene Wohnung zurück — und wenn
sie dich nie mehr zu Gesicht bekäme, sei ihr das nur recht.«
    »Sie schuldet uns tausend
Dollar«, sagte ich. »Zu diesem Preis darf sie ruhig mal ausfallend werden.«
    »Ob wir nicht lieber die
Polizei anrufen — oder sonst jemand?« fragte sie zögernd.
    »Sicher«, erwiderte ich
verdrossen. »Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dich als Augenzeugin zu
haben. Dieser Leutnant Chase wird seine helle Freude haben.«
    »Du hast einen harten Tag
hinter dir, Danny«, sagte Fran leise, und mit einem Male verstärkte sich der
Druck an meinem Arm, weil sie nämlich die ganze Länge ihres wundervoll gebauten
Körpers an mich drängte. »Wenn wir die Polizei wieder los sind, wollen wir dann
nicht vielleicht zu mir fahren? Ich verspreche dir echte Hausmannskost!«
    »Das scheint mir eine ganz
wunderbare Idee«, meinte ich aus vollem Herzen.
    »Soll ich jetzt die Polizei
anrufen?« fragte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Sieh zu, daß
du erst Chase selber an den Apparat bekommst, ehe du Einzelheiten erzählst.«
    »Wird gemacht«, antwortete Fran
streng dienstlich und verschwand.
    Ich pflückte ein paar
Glasspitzen aus dem ruinierten Fenster und beugte mich vorsichtig hinaus. Alle
Lichter der Stadt verschwammen im Regen, und die Luft atmete sich herrlich
rein. Die beiden Spitzen des Waldorf Astoria lagen im Südosten, und ich
nahm an, daß die wilde Salome sich noch immer dort befand — in ihrer Suite.
Vielleicht war mein erster Eindruck richtig gewesen: eine Walküre war sie, eine
Todesbotin. Kendall, den sie Margot weggenommen hatte, war tot. Tybolt , den sie freudig gepeinigt hatte, war tot. Helen
Mills, das Mädchen, das sie ebenso wollüstig gequält hatte, hatte sie
verlassen. Und Kasplin , der Zwerg, den sie
möglicherweise mit ganz besonderer Hingabe gequält hatte, war auch tot.
    Ob sie jetzt einsam war?
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