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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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Wäschespinne, die einer Radioantenne ähnelte, in den äußeren Weltraum gerichtet, Teppiche, die hoch unter dem Dach über Stahldrähten hingen, um nicht zu schimmeln, die überladenen Regale, die vollgestopften Jutesäcke, Bananenkartons mit allem, was übrig gewesen war.
    Auf der Stange mit den Winterjacken fand sie einen leeren Bügel. Der Armanianzug war weg. Er hatte ihn mitgenommen. Sie strich über das glatte Holz des Bügels, die Rundungen der Schultern.
    »Voi minun poikaa … mein Junge …«
    Auf dem Weg hinaus blieb sie stehen, entdeckte die Kiste. Eine schwere graue Kartoffelkiste. Sie lag versteckt unter einem Klapptisch, umgedreht auf dem Zementfußboden. Direkt daneben ein paar geschnitzte Holzstücke. Eine Falle, ein loukku. Der Junge hatte ein loukku geschnitzt.
    Sie hockte sich daneben. Hob die Kiste an, kippte sie zur Seite.
    Darunter lagen zwei Ratten, Beide waren tot. Die eine hatte die andere in ihrem Hunger angenagt, graue Haarbüschel lagen herum und wirbelten jetzt im Luftzug von der Tür auf.
    Zwei, dachte sie. Das ist selten, dass man zwei auf einmal erwischt.
    Automatisch stand sie auf, um den Besen zu holen. Sauber zu machen, auszukehren. Dann fiel ihr ein, dass es dafür zu spät war. Ruhig ging sie hinaus zum Auto, startete und fuhr durch Sattajärvi davon, nahm die Straße Richtung Süden. Das Motorengeräusch wurde leiser, ebbte immer weiter ab und verschwand schließlich ganz in den weiten Wäldern.
    Es war vorbei.
     
    Hinter dem Schuppen löste sich eine Gestalt. Ein bleierner Schatten im Regen. Langsam glitt er über den Hof und in die brandzerstörte, grabähnliche Ruine. An Esaias reglosem Körper blieb er stehen und bekam fast etwas Zärtliches an sich. Alles war so still. Der Körper sah tot aus, das Gesicht war bleich und wächsern. Der Brustkorb hob sich nicht mehr. Der Regen fiel weiter durch das zusammengestürzte Dach, die Tropfen legten sich wie Schweißperlen auf die Stirn und wurden zu bauchigen Tränen. Ein Blutrinnsal drängte sich heraus und füllte die Innenseite der Handfläche, den Zeigefinger entlang bis zur Spitze, sammelte sich an der Fingerspitze selbst, wo eine Blüte anschwoll und errötete, tiefrot und schwer wurde und schließlich auf einen heruntergefallenen, verbrannten Sargdeckel fiel.
    Die Gestalt beugte sich lautlos hinunter. Vorsichtig ergriff sie die festgenagelte Hand und hob sie leicht an, zog das Fleisch vorsichtig entlang dem langen, gebogenen Nagel. Der glitt durch das Gewebe wie eine grobe Injektionsnadel, bis zu der geschliffenen Spitze hoch. Ein letzter Ruck, und die Hand war frei. Schwer fiel sie auf den Holzboden, gespreizt und schlaff. Doch dann erzitterte sie, begann zu beben, die Zeigefingerspitze hob sich und schien etwas zu suchen. Durch die Hand ging der Lebensnerv hinauf in den Arm, in den warmen Brustkorb. Und jetzt zuckten auch die Augenlider, es rührte sich da drinnen, ein großes, durchsichtiges Ei, das Licht haben wollte.
    Die Gestalt legte ihre Lippen dicht an Esaias' Ohr, während die Morgendämmerung sich im Körper ausbreitete.
    »Alles befindet sich vor dir«, war ein weiches Flüstern auf Meänkieli zu hören. »Du hast alles gekriegt, was du brauchst, alle Anhaltspunkte liegen offen da. Geh einfach zurück in deiner Erinnerung und lege die Teilchen zusammen. Dann weißt du, wer den Alten umgebracht hat.«
    »Kuka … puhhuu …?«, stöhnte Esaias. »Wer redet da?«
    »Väylä«, flüsterte die Stimme nach einigem Zögern.
    Esaias bekam die Augen einen Spalt weit auf, sie waren trüb vom Regenwasser.
    »Der Fluss«, wiederholte er, während der Schmerz immer heftiger in der Hand pochte. Scharfe, glühende Kohle.
    Doch niemand war da.
     

54
     
    Die Fackeln waren in einer langen Reihe die Straße entlang entzündet, ein leuchtender Wurm, der sie alle zur Sporthalle zog und hineinführte, sie mit den anderen abendlichen Wanderern zusammenführte in dem honigfarben erleuchteten Eingang. Sie lösten ihre Eintrittskarte und bekamen ein Plastikband um das Handgelenk befestigt, schoben sich mit kleinen Schritten ins Gedränge hinein und hörten bereits die Musik. Die Schlange um sie herum war dicht und erwartungsvoll, Schwedisch und Meänkieli mischten sich mit Parfums, Saunaseife, frisch gewaschenen Jacken, frisch rasierten Wangen und gesprayten Frisuren.
    Therese schob ihren Arm unter den von Esaias. Jetzt sitzt er fest, dachte sie und spürte einen Zug im Brustkorb, bis in die Brustwarzen. Jetzt würde er nicht wieder
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