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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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zusammenstürzen. Die ganze Treppe bebte, Holzleisten zerbrachen mit trockenem, bedrohlichem Knacken. Dennoch ging sie weiter. Ließ sich auf alle viere fallen, verteilte das Gewicht wie auf sehr dünnem Eis. Um die Treppendrehung. Hier verharrte sie. Auf dem Absatz lag ein Bündel aus verbrannter Wolle. Rau und spröde, ein verkohlter Wollpullover? Vorsichtig stocherte sie in dem Paket, durch eine Schicht Ruß nach der anderen. Berührte etwas Hartes da drinnen, Längliches. Ein Rohr?
    Dann erkannte sie die russischen Buchstaben wieder. Es hatte auf seinem Bücherregal gestanden. Eine der sowjetischen Brandbomben, die am 21. Februar 1940 über Pajala abgeworfen worden waren. Die russischen Piloten hatten falsch navigiert, geglaubt, sie griffen Rovaniemi an. Sie drehte den Metallklumpen und spürte sein Gewicht. Der Krieg. Hatte er versucht, sie mitzunehmen, dann aber verloren? Breitbeinig wie ein Krebs und unendlich vorsichtig kroch sie die letzten, zum Teil zerbrochenen Treppenstufen hinauf. Stützte sich an den Wänden ab und spürte, wie diese sich wölbten. Hustend kletterte sie auf den schwankenden Dachboden.
    Vor ihr öffnete sich ein riesiger Krater zur Küche hinunter. Teile der Decke hingen in die Öffnung hinein, geschwärzte, gestreifte Plannjaplatten. Der Dachstuhl war abgebrannt und bildete ein riesiges Mikado, das Dachinnere war vollständig zerstört und größtenteils in scheibenförmigen Holzgewinden heruntergerast.
    Sie musste an dem Loch vorbei. Trat in den Ruß und suchte einen Halt, einen tragenden Balken. Vorsichtig tastete sie sich an der Längswand entlang, über ein schweres, massives Hindernis, von dem sie bald merkte, dass es der umgekippte Schreibtisch war. Verbrannte Kabel hingen wie Lianen von der Decke, sie duckte sich und kämpfte sich weiter nach Innen. Zum Innersten. Das ihm gehört hatte.
    Da war die Türöffnung. Die Tür selbst und der Rahmen hatten sich gelöst und waren zum Erdgeschoss hinuntergestürzt, aber die Öffnung war noch da. Ein öliges Stück hing herab, es sah aus wie Teerpappe, war geschmolzen und erstarrt wie ein Flügel. Sie duckte sich unter dem Vorhang hindurch und krabbelte hinein. Bekam Ruß in den Hals, hustete unterdrückt. Hier war es dunkler, sie blinzelte im Dunkel. Fegte sich Dreck aus dem Haar.
    Da ergriff jemand ihr Handgelenk. Sie spürte eine messerscharfe Angst, direkt im Herzen. Reiner Stahl, reines weißes Eis.
    »Nicht schreien«, flüsterte er.
    Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch, glotzäugig.
    »Nicht schreien, psst …«
    Die Angst verwandelte sich in Zorn, sie begann zu zittern, spürte eine aufsteigende Wut …
    »Sei still, Märta … Er ist hier gewesen.«
    Langsam löste sich der Griff um ihre Hand, sie zog sie zurück. Die Augen begannen sich ans Dunkel zu gewöhnen, und jetzt entdeckte sie die Bahre. Sie war vom vorderen Bock heruntergerutscht und stand jetzt mit dem Kopfende nach unten.
    »Nein«, zischte sie.
    »Ich habe geahnt, dass er zurückkommt.«
    Äußerst vorsichtig kroch Esaias über die Bodenbalken zum Sarg und holte etwas aus dem Inneren heraus. Es schlackerte eklig, dann sah sie, was es war. Die Eingeweide eines Fisches. Haut, Gräte, der schleimige Kopf. Eine Quappe.
    »Onkos se täälä? Ist er hier?«, rief sie aus.
    »Er war hier«, antwortete Esaias auf Meänkieli. »Er muss das gegessen haben.«
    »Dann lebt er!«
    »Ich glaube, er war hier, um zu schlafen. Danach.«
    Märta Kallio tastete über den heruntergefallenen Sargdeckel, hielt die Handfläche darüber, als spürte sie eine Wärme. Einen Körper, der atmete. Esaias strich mit den Fingerspitzen darüber, bekam ein paar trockene Körner zu fassen. Brotkrümel. Fisch und Brot.
    »Warum hat er das gemacht?«, fragte er leise.
    »Wer?«
    »Warum hat er alles in Brand gesteckt?«
    Sie schüttelte nur schweigend den Kopf. Verlagerte ihr Körpergewicht, der ganze Boden bebte. Esaias ging in die Knie, um das Gleichgewicht zu halten.
    »Es war die ganze Zeit Pettersson, nicht wahr. Es muss Pettersson gewesen sein.«
    »Du verstehst das nicht«, sagte sie.
    Er blieb stehen. Spürte das Unbehagen in den Nacken kriechen, über die Schulterblätter. Der Tod. Ein kaltes, eisiges Gift.
    »Oder hast du mitgemacht? Habt ihr den alten Mistkerl zusammen aufgespießt?«
    Sie hielt einen Moment lang den Atem an. Wandte ihm schließlich das Gesicht zu. Das Gesicht einer Mutter.
    »Er ist jetzt frei, der Junge«, flüsterte sie.
    Esaias trat einen Schritt vor, unvorsichtig,
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