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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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davonkommen. Esaias spürte die Blicke, die Augen der Stadt, am nächsten Tag würde über sie geredet werden. Er und die Polizistin aus Stockholm, und in einem Freiheitsrausch küsste er ihre Wange, dass alle es sehen konnten. Sollte die Geschichte sich doch verbreiten, weitergetragen werden.
    Sie duckten sich unter einem Tuch hindurch, eine Art luftigem Vorhang, und fanden sich plötzlich auf einem riesigen Bühnenboden wieder. Scheinwerfer huschten umher, Theaternebel wallte. Hunderte, vielleicht Tausende von Menschen schauten nach oben.
    »Wir sind in der Römpääs-Show gelandet!«, rief Therese ihm ins Ohr, um die Menschenmassen zu übertönen. Im gleichen Moment war eine Trompete zu hören, eine freche, lachende Trompetenfanfare. Sie kam oben von der Decke, und als sie dem Spotlight folgten, sahen sie einen einsamen Mann in einer riesigen Espressotasse schweben. Hinter ihm war plötzlich noch eine Trompete zu hören, Saxophone, Posaunen, immer mehr Instrumente, die sich in einer mächtigen Ouvertüre vereinten.
    »Tim Hagans und die Norrbotten Big Band«, rief Esaias.
    Sie sah das Orchester in schwarzen Gummiseilen von der Decke hängen. In verschiedenen Formationen schaukelten sie herum und zogen ihre Jazzakkorde in die Länge. Und mittendrin war noch etwas anderes zu hören. Vom entgegengesetzten Ende der Sporthalle, dort war eine Bühne für Pajalas Ziehharmonikaorchester errichtet worden. Und auf sonderbare Art und Weise vereinigte sich die Musik direkt über dem Zuhörermeer, vermischte sich, verwob sich zu einem ganz speziellen Klangteppich aus Finnisch und Schwedisch, Land und Stadt. Oben unter dem Dach sah man jetzt einen der Akkordeonspieler kopfüber wie eine Fliege mit großen, zischenden Fußbekleidungen laufen.
    »Er hat Saugnapfschuhe! Hasse Notsten!«
    Im gleichen Moment erklang ein großartiger Akkord vom Boden hinauf, er wuchs, breitete sich aus, teilte sich in Stimmen, die weiterstiegen und davonwanderten. Eine schmerzlich schöne Mollmelodie aus den Wäldern, aus der unendlichen Taiga, der Ruf des Nadelwalds weit hinten in Asien, aus der Kamtschatka und Sibirien erreichte das Tornedal. Sie standen mitten darin, der russische Chor, ihre Stimmen waren verteilt über den Tanzboden, und sie sangen zum Dach hinauf, vereinten sich in einer Hymne, einer Danksagung, einem arktischen Gebet. Und mitten in diesem wunderschönen Lärm entzündete sich eine Lichtblase, eine riesige Sphäre, die sich erhob und heranglitt, bis sie über allen schwebte, schimmernd. Dann verwandelte sich die Lichtblase und bekam Gesichtszüge, wurde zu einem älteren Herrn mit großer, charakteristischer Nase und nach hinten gekämmtem, spärlichem Haar, ein gigantisches, schwebendes Hologramm. Der Mann betrachtete die Versammelten ruhig, fast zärtlich. Dann öffnete er seinen Mund und hieß sie willkommen in einem altertümlichen Finnisch, alle Gäste, die hierher nach Pajala gekommen waren, alle Finnen und Samen und Russen, alle Besucher und Freunde aus dem südlichen Schweden, aus Europa und dem Rest der Welt. Mit einer Handbewegung drehte er sich um, verließ sie, ging langsam davon in seinen einfachen, selbstgenähten Lodenkleidern. Er war wieder auferstanden. Lars Levi Laestadius.
    Einen Moment lang war alles still. Dann wurden zwei Trommelstöcke taktsicher gegeneinander geschlagen, und wie ein neonfarbenes Raumschiff legte die Tanzband los. Es kam Leben in das Publikum, es verwandelte sich in eine schlingernde, wogende Masse, die langsam geweckt wurde und sich in unterschiedlichen Wellenmustern streckte.
    »Möchtest du etwas trinken?«, fragte Esaias.
    Therese bestellte ein Glas geharzten Wein mit dem speziellen Teergeschmack, er selbst nahm ein Glas Wasser und schluckte eine Tablette gegen die Schmerzen in der Hand. Sie holte tief Luft und versuchte stotternd:
    »Onpa hauska täälä.«
    »Mitä!«, rief er überrascht aus.
    »Ich habe in Stockholm mit einem Finnischkursus angefangen. Ich dachte, den könnte ich gut gebrauchen.«
    »Meinst du …«
    »Ich hab die Stelle gekriegt«, fuhr sie fort. »Bei der Polizei in Pajala, ab nächsten Monatsersten.«
    Er bewegte sich nicht.
    »Ich ziehe hierher, Esaias.«
    Therese betrachtete ihn unsicher. Dann löste sich seine Lähmung, und er nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich. Auf der Tanzfläche sah er Eino Svedberg tanzen, mit geradem Rücken wie ein Korporal. Weiter hinten konnte er Sonny mit seiner rundlichen Ehefrau entdecken, sie drehten sich in einem
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