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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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unternehmen, zu dem kleinen Propellerflugzeug mit neun Sitzplätzen, das auf dem juliwarmen Asphalt wartete. Das Flugzeug 8N402, unterwegs zur Nordkalotte, hob fahrplanmäßig kurz nach zehn Uhr vormittags mit Ziel Pajala ab. Die beiden Piloten und die drei Passagiere spürten, wie die Maschine sich mit wiegendem Ruckeln durch die Morgenthermik arbeitete. Rechts unter ihnen zeigte sich kurz das Zentrum von Luleå, eine dicht bebaute Halbinsel am Meeresrand, umgeben von Buchten und Sonnengefunkel. Im Meer war eine Unzahl von bewaldeten Inseln und kleinen weißen Dreiecken der Sommersegelboote zu sehen, auf dem Weg hinaus in den nordbottnischen Schärengürtel. Nur gut hundert Kilometer weiter entfernt, momentan im Sonnennebel nicht auszumachen, lag Finnland. Der Pilot schaltete, schwenkte in die richtige Richtung und kletterte weiter hinauf auf die Flughöhe von 18000 Fuß, gut 5000 Meter. Wollige Kumuluswolken zogen am Fenster vorbei, während das Flugzeug seinen Weg über die in der Wettervorhersage als nördliches Inland von Norrland bezeichnete Gegend nahm.
    Therese Fossnes spürte die Kälte des Kabinenfensters an ihrer Wange, während sie hingerissen über die Weiten hinwegschaute. Es war ihr erster, alles bestimmender Eindruck. So schrecklich viel Wald. Sie hatte versucht, sich die norrländische Taiga vorzustellen, von ihr fantasiert, und jetzt sah sie sie zum ersten Mal mit eigenen Augen. Von allen Seiten. Ein dunkelgrüner Flickenteppich, ein Riesenwasserfall. Moosgrün. Nadelgrün. Zum Horizont immer blauer werdend, und hier und da blitzten Teiche und Waldseen auf. Entlang dahinschlängelnden Wasserzügen bahnten sich Straßen durch die Ebene. Und ab und zu, als wären sie zu schüchtern, waren vereinzelte Hausgruppen zu erkennen. Unbedeutende norrbottnische Orte. Viel zu klein für diese unfassbare Landschaft. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es war, dort unten zu leben. Ausgesetzt in dieser Ödnis. Ein einsames Mädchen, das ruft. Das durch die Sümpfe schlendert und auf etwas Abwechslung hofft.
    Nein, sie war Städterin. Sie war zu festgelegt, es gab so viel anderes im Leben als den Wald.
    Therese öffnete die apfelsinenfarbene Plastikmappe mit dem Emblem des Landeskriminalamts und las noch einmal das Fax mit den Namen der lokalen Polizeibeamten, mit denen sie zusammenarbeiten sollte. An den Rand kritzelte sie ein paar Anmerkungen. Es ging darum, von Anfang an das Kommando zu übernehmen, Kompetenz zu zeigen. Für die da oben war sie nur eine blondierte Null, sie musste zubeißen, falls sie Schwierigkeiten machten. Sie sah jünger aus als ihre 33 Jahre. Einige dieser Schnauzer glaubten, das ausnutzen zu können. Besonders die Polizisten. Es gab wenige Berufsgruppen in diesem Land, die machogeprägter waren, vielleicht noch die Staatsanwälte. Aber mit der Zeit lernte man dazu. Man achtete darauf, dass die Krallen geschärft blieben.
    Nach einem halbstündigen dröhnenden Flug senkte das Flugzeug seine Nase und näherte sich den Baumwipfeln. Sie konnte nirgends eine Landebahn entdecken, nur Waldwege. Ihr Mund wurde trocken, ein Schutzreflex. Adrenalin. Die beiden anderen Passagiere beugten sich vor und zeigten hinaus, ein gemütliches Rentnerehepaar, das sie bereits im Flugzeug aus Stockholm gesehen hatte. Die Frau sagte etwas Unverständliches. Die Worte drangen durch den Motorenlärm, waren aber nicht zu verstehen. Der Mann gab etwas ebenso Wunderliches zurück, am Tonfall war zu erkennen, dass er ihr zustimmte.
    Und jetzt erst begriff Therese. Es war Finnisch. Sie hatten Finnisch miteinander gesprochen.
    Mit einem kurzen Gummikreischen traf das Flugzeug auf der Erde auf und brauste schaukelnd weiter, während die Geschwindigkeit gebremst wurde. Ziel war das kleine Flughafengebäude, umgeben von hohen Kiefern. Pajala stand kurz und knapp auf der Fassade. Zwei Männer in gelben Sicherheitswesten schoben eine Gepäckkarre vor sich her, schlossen dann die Kabinentür ganz hinten auf und klappten die eingebaute Treppe aus. Sie kletterte hinunter und spürte ihre Blicke. Schweigende Neugier, ein wenig aufdringlich. Sie ging über den Asphalt und registrierte den Geruch nach Waldhitze, trockener, dampfender Wildnis. Eine Tür im Gebäude wurde aufgeschlagen, und ein langer, grauhaariger Polizeibeamter in Uniform kam heraus und streckte ihr die Hand entgegen. Sein Gesicht verzog sich zu einem runzligen, leicht schüchternen Lächeln.
    »Willkommen«, begrüßte er sie. »Willkommen im Tornedal.«
    Das
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