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Der Mann, der starb wie ein Lachs

Der Mann, der starb wie ein Lachs

Titel: Der Mann, der starb wie ein Lachs
Autoren: Mikael Niemi
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Wespen, alle Holzböcke und gackernden Hühner zog, über Kräuterstände, Zigarettenverkäufer, Dorfköter und verfilzte Straßenkinder, wurden es da oben immer mehr. Zum Schluss füllten sie den Nachthimmel wie ein Schwarm fliegender Träume.
    Während die Kaffeemaschine blubberte, ging Jan Evert hinaus in seinen Garten. Er strich an der Jasminhecke vorbei und fuhr leicht mit den Fingern über den Stamm des knorrigen Apfelbaums. Unter den Fußsohlen spürte er Fallobst, ein Lockmittel für die Rentiere, die in den Stunden der Morgendämmerung aus dem alten Buschwerk herauskamen. Manchmal konnte er noch halb im Schlaf ihr leises Plätschern hören, wenn sie durch den Bach wateten, scheu, ständig ihre Ohren hin und her drehend, zartgliedrig und ängstlich wie hungrige Kinder.
    Es lag an dem Garten, dass er das Haus gekauft hatte. Er war paradiesisch. Der Garten und dann der sich davor schlängelnde Bach.
    »Jan Evert?«
    Sie legte die Zeitung halb gelesen fort.
    »Ich bin hier draußen.«
    »Was ist das für eine Welt, in der wir leben?«, rief sie aus und blinzelte in die Dunkelheit.
    Er fragte sich, ob das eigentlich typisch für das Tornedal war, dieser Pessimismus. Oder ob es an der Religion lag, all die Jahre, die sie als Missionarin verbracht hatte. Man durfte es nie zu gut haben. Nach dem Lachen kam das Weinen, naurun perhään tullee itku, so war sie aufgewachsen.
    Er beschloss, dass der Zeitpunkt gekommen war. Mit einer eleganten Bewegung hob er die Keramikurne hoch und stellte sie auf den Tisch.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Ich dachte, du wolltest sie gern sehen. Vor der Beisetzung.«
    »Was ist das?«, wiederholte sie, als hätte sie nicht gehört.
    »Das ist Martin.«
    Sie lehnte sich zurück, hob die linke Hand wie eine Kralle.
    »Das ist dein Bruder«, fuhr er fort.
    »Nein«, widersprach sie entschieden.
    »Was noch von ihm übrig ist. Von seinem Leben.«
    Jan Evert schüttelte die Urne, dass es leise darin rasselte.
    »Wie war er eigentlich?«
    »Wie meinst du das?«, fragte sie schnell.
    »Martin. Was war er für ein Mensch?«
    Sie machte eine abschätzige Handbewegung. Wollte nicht. Nicht jetzt.
    »Warum hattet ihr keinen Kontakt?«, versuchte er es erneut.
    »Er war schwierig.«
    »Was heißt schwierig?«
    »Wollte alles bestimmen. Er konnte deinen Vater nie akzeptieren.«
    »Weil Papa …«
    »Anders war«, unterbrach sie ihn. »Weil er ein Fremder war.«
    Jan Evert spürte, dass sie sich der Grenze näherten. Bald würde sie wieder schweigen. Sich abwenden, sich glatt wie ein Spiegel machen. Das war der Moment, an dem er mit King hinausging. Hinaus an die frische Luft, ein schlendernder Achtjähriger mit zehntausend Meter Sauerstoff über dem Scheitel und dem Fernglas für die Vögel um den Hals, und eine eifrige Hundeschnauze, die sich ins Herbstlaub bohrte. Ohne King wäre er verrückt geworden.
    Es raschelte im Apfelbaum, als noch ein Stück Fallobst zu Boden fiel. Sie drehte sich in die Richtung, mit dem Gehör war alles in Ordnung.
    »War das eine Schlange?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Es klang wie eine Schlange im Baum.«
    »Das war ein Apfel.«
    Seine Mutter spähte hinaus, als glaubte sie ihm nicht. Als käme etwas Schleimiges durch das Gras geschlängelt.
    »Mir ist etwas in den Kopf gekommen, als ich in Pajala war, Mama. Ich möchte gern Finnisch lernen.«
    »Ach was.«
    »Das sind schließlich deine Wurzeln, Mama. Deine und meine. Ich bin dann bestimmt der einzige halbe Neger, der Meänkieli kann.«
    »Sag nicht halber Neger.«
    »Okay, also halber Afrikaner.«
    Sie spitzte unwillig die Oberlippe.
    »Dein Vater hat dir auch nie Ndebele beigebracht, aber darüber hast du dich nie beschwert.«
    »Ich dachte, es wäre Suaheli?«
    »Er sprach auch Suaheli, aber seine Muttersprache war Ndebele.«
    Verdammte Scheiße, dachte Jan Evert Herdepalm. Oj oj oj. Ndebele und Meänkieli, das wäre doch was!
    »Es ist am schönsten so mit Schwedisch«, sagte sie.
    »Mit Schwedisch?«
    »Es ist das Beste, dass es so gekommen ist, Jan Evert.«
    Er spürte den Impuls, einfach durch den Garten zu laufen, durch den Bach zu springen, klatschnass direkt in den Wald hineinzurennen, in das Dickicht mit seinen Schneebeeren- und Haselnusssträuchern sowie dem zypressengleichen Wacholder, während sich das Dunkel um ihn schloss, der Dschungel, die schöne, warme Dschungeldunkelheit.
    Stattdessen holte er den Kaffee. Und das Dessert. Er hatte es in zwei Schalen gefüllt. Die eine kam kochend heiß aus der
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