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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
Autoren: Simon X. Rost
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Schließlich hat er tagelang geweint und war ganz erschüttert vom Tod seiner Mutter. Ich schätze, er hat sie trotz allem geliebt. Aber heute, nach allem, was passiert ist, glaube ich, dass er das Feuer gelegt hat. Sein Vater hat die Hütte wiederaufgebaut, doch er hat den Jungen zunächst auf das Priesterkonvent in St. Louis geschickt. Dort ist er ein paar Jahre zur Schule gegangen.
    Aber Dobbins ist nicht Pfarrer geworden. Ich glaube, wenigstens das hat der Allmächtige zu verhindern gewusst. Wieder gab es Gerüchte; selbst von so weit entfernten Orten wie St. Louis sind sie zu uns gedrungen. Es hieß, er habe Mitschüler belästigt. Genaueres wusste man nicht.
    Wie dem auch sei, jedenfalls kam er irgendwann zurück und wurde Lehrer. Ich habe ihn eine Zeit lang im Auge behalten, das gebe ich zu. Aber er war ruhiger geworden, und seine Neigung, Tiere zu quälen, war wohl eher einer wissenschaftlichen Neugier gewichen. So hat es jedenfalls ausgesehen. Als er noch jünger war, hat er ständig davon geredet, dass er Medizin studieren will, aber dafür hat es nie gereicht, wie du ja weißt. Ich glaube, es war etwas Großes in ihm, ein brillanter Geist, der es aber nie geschafft hat, die Dämonen in sich zu besiegen. Er tut mir leid, trotz allem, was er den Frauen und dem Sheriff und auch diesem Jeb angetan hat. Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre gar nicht erst geboren worden.«
    Tom nickte und schwieg betroffen. Als sie vor dem Portal der Kirche angekommen waren, klopfte Sprague ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Bis gleich, Tom. Du siehst müde aus, du solltest mal wieder schlafen.«
    Tom lächelte. »Ich schlafe seit ein paar Tagen sehr gut.«
    Der Pfarrer wiegte den Kopf, als würde er es nicht recht glauben. Er ging um die Kirche herum zur Sakristei. Tom sah ihm hinterher, bis eine Stimme ihn aus seinen düsteren Gedanken an Dobbins riss.
    »Mr Sawyer, Sir?« Es war Cooper. Er hatte mit Hattie im Schatten einer Platane gewartet.
    Tom ging ein paar Schritte auf sie zu. Cooper hatte seine Reisetasche in der Hand, und Hattie, die ein Chintzkleid mit Gänseblümchenmuster trug, hatte ein Bündel auf den Rücken gebunden.
    Bildete Tom sich das nur ein, oder wölbte sich ihr Bauch bereits? Wie weit sie wohl war?
    Cooper tippte sich an die Krempe seines Hutes. »Wir wollten uns verabschieden, Mr Sawyer. Und uns nochmals bei Ihnen bedanken. Hattie?«
    Hattie lächelte schüchtern und deutete ungelenk einen kleinen Knicks an. »Danke, Sir. Mr Sawyer, Sir.«
    Tom musste lächeln. »Schon in Ordnung.« Er musterte die beiden. Bruder und Schwester. Unverkennbar. »Schade, dass Sie nicht länger bei uns bleiben, Mr Cooper. Mit dieser Stadt geht es aufwärts, jetzt wo die Eisenbahnbrücke kommt, würde Richter Thatcher sagen. Wir können Männer wie Sie gebrauchen.«
    Cooper grinste. »Es wird ein anderer Arzt kommen. Und es wird ein Weißer sein. Vielleicht hat er es leichter als ich, hier Fuß zu fassen.« Er wies mit dem Kinn auf Hattie. »Wir wollen zurück nach Savannah. Wir wollen unsere Geschwister suchen. Das war Hatties Idee.«
    Hattie lief rot an und sah zu Boden. Bis auf ein paar Schrammen im Gesicht schien es ihr gut zu gehen.
    Tom nickte und streckte die Hand aus. »Danke, Cooper. Sie haben mich mindestens genauso gerettet wie ich Sie.«
    Cooper nahm die Hand und schüttelte sie lächelnd.
    Tom gab auch Hattie die Hand. Er wies auf ihren Bauch, blickte von ihr zu Cooper und wieder zu ihr. »Was willst du … Ich meine … willst du es bekommen?«
    Hattie blickte ihn mit großen Augen an. Dann sah sie zu Boden »Ich … das weiß ich nicht. Vielleicht schon. Ich … es kann ja nichts dafür, oder, Mister? Das Baby, mein ich.«
    Tom blinzelte und schwieg einen Moment. Er sah seinen Vater vor sich, wie er mit einer Flasche in der Hand auf ihn und Sid zutaumelte. Und Polly, die sich seinem Vater in den Weg stellte. Tom lächelte. »Natürlich. Es kann nichts dafür. Egal, wer der Vater war. Das Kind braucht nur deine Liebe.«
    Hattie wurde dunkelrot. »Die wird es bekommen, Sir.«
    »Komm, Hattie. Wir müssen. Das Dampfschiff wartet nicht.«
    Sie gingen los. Auf einmal wandte sich Cooper noch einmal um und fischte etwas aus seiner Reisetasche. »Das hätte ich fast vergessen, Mr Sawyer. Auch wenn ch nicht weiß, ob es jetzt noch wichtig ist.« Er drückte Tom den Pflanzenstängel mit dem Faden in die Hand. »Ich habe einen Studienfreund von der Wilberforce University angeschrieben. Er ist Botaniker
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