Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
Autoren: Simon X. Rost
Vom Netzwerk:
doch gehen. Aber war er der Kopf einer Verschwörung? War er schuld an Lincolns Tod?
    Wir werden es vermutlich nie erfahren – es sei denn, die fehlenden achtzehn Seiten aus Booth’ Tagebuch tauchen doch noch auf und be- oder entlasten den vielgerühmten und ebenso geschmähten Kriegsminister. Booth’ Tagebuch kann man sich im Ford’s Theatre in Washington auch heute noch ansehen. Es wird in einer Vitrine aufbewahrt und ist an der Stelle aufgeschlagen, an der die achtzehn Seiten säuberlich herausgetrennt wurden. Von wem auch immer.
    Sechzehn Jahre nach Abraham Lincoln starb ein weiterer amerikanischer Präsident an den Folgen eines Attentats: James A. Garfield wurde im Juli 1881 von einem psychisch kranken Täter, Charles Guiteau, angeschossen. Eine der Kugeln in seinem Rücken konnte trotz eines von Alexander Graham Bell entwickelten Metalldetektors nicht gefunden werden − der Präsident starb elf Wochen später an den Folgen einer Infektion, verursacht durch ebendiese Kugel.
    Spätere Untersuchungen ergaben, dass der Präsident auf einem Bett mit metallenen Sprungfedern lag, was niemand bemerkt hatte, sodass Bells kurioser Apparat wohl nutzlos war.
    Das sei jedoch nur erwähnt, weil ich mich bei Hucks Bauchschuss und bei Coopers Operation an den Beschreibungen der bei Garfields Behandlung beteiligten Ärzte orientiert habe, da ich anfangs nicht genau wusste, wie lange man eigentlich mit einem Bauchschuss überleben kann. Fest steht: Es können schon mal elf Wochen sein, und wenn man die Kugel findet, auch wesentlich länger.
    1865 endete der Amerikanische Bürgerkrieg, der erste Krieg, den Historiker einen »totalen Krieg« nennen, weil er in puncto Vernichtung, Zahl der Toten, Logistik und Komplexität ein bis dahin ungekanntes Ausmaß erreicht hatte. Letztlich war es ein Krieg, um die seit Jahrzehnten ungeklärte Sklavenfrage zu lösen. Die Frage, ob Menschen schwarzer Hautfarbe in den neuen Staaten der Union als Sklaven gehalten werden durften oder nicht.
    Die Frage der Hautfarbe und der damit verknüpfte Status – Sklave oder freier Mann – trieb die absurdesten Blüten. Die Tochter eines weißen, freien Mannes und einer schwarzen Sklavin wurde, wenn sie auf die Welt kam, automatisch zu einer Sklavin. Hatte diese Tochter ihrerseits wieder Kinder mit einem weißen, freien Mann, waren auch diese Kinder Sklaven.
    So gab es einige Menschen weißer Hautfarbe, die im Stand der Sklaverei lebten – auch wenn dies der wortreichen Begründung der Sklaverei aus der Bibel widersprach. Dort heißt es im Buch Genesis, die dunkelhäutigen Söhne Hams sollten allen anderen dienen. Im Fall der ererbten Sklaverei war dieses Bibelwort offenbar schnell vergessen.
    Konstellationen wie die beschriebene waren auf den Plantagen des Südens übrigens keine Seltenheit. Erst das Ende des Bürgerkrieges markierte auch das Ende der Sklaverei in den Vereinigten Staaten. Die rassische Endogamie hielten die Gesetzgeber dennoch lange aufrecht. Die letzten Gesetze gegen intermarriage oder miscegenation  – zu deutsch: »Rassenmischung« – wurden erst 1967 annulliert.
    Hautfarbe? Rasse? Herkunft?
    Nicht nur in der Politik rang man in dieser Zeit um diese existentiellen Fragen.
    Im selben Jahr, in dem der Bürgerkrieg endete, veröffentlichte Gregor Mendel erstmals seine bahnbrechenden Thesen und Experimente zur Vererbungslehre. Dass Dobbins zu dieser Zeit bereits davon Kenntnis hatte, ist sicher unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich. Wissenschaftler und Privatgelehrte standen auch in diesem Vor-Internet-Zeitalter durch ausgedehnte Korrespondenz miteinander in Verbindung, hielten sich gegenseitig über neue Erkenntnisse und Entwicklungen in ihrem jeweiligen Bereich auf dem Laufenden.
    Wie viele andere vor und nach ihm hat sich Dobbins aus Mendels Theorien und Darwins Thesen das herausgepickt, was in sein Weltbild passte. Dass dies auch heute noch nach Belieben und vor allem dem jeweiligen Glauben entsprechend geschieht, zeigt die steigende Zahl der amerikanischen Schulbücher, die die Schöpfungsgeschichte der Bibel gleichberechtigt neben Darwins Theorien in den Biologiebüchern abdrucken.
    Des Menschen Glaube ist eben sein Himmelreich. Auch wenn der Mensch an die Wissenschaft glaubt.
    Schon bald nach der ersten Veröffentlichung von Darwins Werk Die Entstehung der Arten versuchte sein Cousin Francis Galton, den Dobbins ebenfalls erwähnt, Darwins Erkenntnisse auf den Menschen anzuwenden.
    Der umfassend gebildete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher