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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Autoren: Al Shaw
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Haufen Zeitschriften gefunden und ihr zugeworfen. Sie war völlig außer Atem gewesen, als sie das Gespräch annahm.
    »Ist da Elsa Beletti?« Ein schleppender Oklahoma-Akzent.
    »Ja. Ja, genau.«
    »Mein Name ist Officer Fischer vom Polizei-Department Oklahoma. Sind Sie allein, Elsa?«
    »Nein. Mein Freund ist bei mir.«
    »Gut. Das ist gut.« Ein tiefer Atemzug. »Elsa, es tut mir schrecklich leid, Ihnen mitteilen zu müssen –«
    Sie hatte aufgelegt und das Telefon fallen lassen. Eine Sekunde später hatte es erneut angefangen zu klingeln und zu vibrieren, sodass es sich auf dem Boden im Kreis drehte. Am Ende war Peter drangegangen und hatte mit dem Officer gesprochen. Dann hatte er aufgelegt und Elsa fest in die Arme genommen.
    Ihr Dad war im Wrack seines Autos gefunden worden – mit kollabierter Lunge und zersplitterten Oberschenkelknochen –, nachdem er damit hundert Meilen westlich von der windumtosten kleinen Ranch, auf der er sein einziges Kind großgezogen hatte, von einem Tornado erfasst worden war.
    * * *
    Das Flugzeug geriet in Turbulenzen und die Anschnallzeichen leuchteten auf. Mit einem Mal waren sie vollkommen in Wolken gehüllt. Elsa blickte hinaus ins Grau. Eine Weile später riss die Decke auf und weit unter ihnen kam ein blauer Streifen Meer zum Vorschein, wie ein Fluss am Grund einer tiefen Schlucht. Schließlich schoss das Flugzeug ganz ins Freie und unter ihnen erstreckte sich der Ozean mit seinen gekräuselten Wellen.
    Ein paar Stunden lang blieb die Welt unverändert. Dann, plötzlich, warf sich die See gegen eine gelblich braune Küste. Die Landschaft unter ihnen wirkte wüst und ungezähmt, mit ausgedörrten Hügeln und pockennarbigen Ebenen. Sie flogen über eine Siedlung dahin, deren Gebäude verstreut dalagen wie ein Haufen halb verscharrter Knochen. Ein winziges rotes Auto kroch wie eine mit Blut vollgesogene Spinne von einem Nirgendwo zum nächsten. Schließlich folgten, eine ganze Weile, nichts als brauner Sand und braune Felsen.
    Elsa besaß noch immer jeden einzelnen Brief, den ihr Dad ihr nach seinem Rauswurf geschickt hatte. Als er im Gefängnis gelandet war, hatte er mit dem Schreiben aufgehört, und die meisten Leute begriffen nicht, dass ein Mann hinter Gittern nicht die Zeit fand, ein paar Worte an sein einziges Kind zu senden. Doch Elsa verstand, was den anderen unbegreiflich war. Sie wusste, wie sehr sein Geist sich verschloss, wenn er in einem Haus gefangen war.
    Als Kind hatte sie mit angesehen, wie eines Nachmittags ein Sturm die Regenrinne der Scheune abgerissen und einer Keule gleich durch die Luft und schließlich auf ihn niedergeschleudert hatte. Sie brach ihm das Bein. Als er danach, während der Bruch heilte, das Haus nicht verlassen konnte, wurde er regelrecht katatonisch. »Mich treibt nun mal das Wetter an«, hatte er einmal gemurmelt, und das war die beste Art, ihn zu beschreiben. Eines stürmischen Tages hatte er beschlossen, dass sein Bein verheilt war. Er war aus seinem Sessel aufgestanden und in die Weite der Prärie hinausgefahren. Sie erinnerte sich, wie sie die Hände an ihr Zimmerfenster gepresst und der Staubwolke nachgesehen hatte, während sein Pick-up in der Ferne verschwand. Dann hatte der Wind die Wolke davongefegt. Elsa hatte sich vorgestellt, wie ihr Vater irgendwo in der Wildnis, wohin auch immer er unterwegs gewesen war, aus dem Wagen stieg, die Hände zum Himmel erhoben, und Wind und Regen ihn umtanzten wie eine Meute von Hunden ihr Herrchen.
    Ihr Dad hatte sie dazu erzogen, die Elemente mit einer Leidenschaft zu lieben, die seiner eigenen in kaum etwas nachstand, doch ihr Leben in New York hatte sie wetterfest werden lassen. Nur bei seiner Beerdigung, als der Frühlingswind ihre Tränen trocknete und die Asche ihres Vaters davontrug, hatte sie das Gefühl gehabt, dass diese Leidenschaft noch einmal entfesselt worden war. Sie war ihr Erbe, doch sie hatte ein Loch in ihr hinterlassen wie in einer Glasscheibe. Elsa hatte den Sommer damit verbracht, die Risse zu flicken, die sich von da an durch ihr ganzes Dasein zogen.
    * * *
    Unter ihr kam ein verschwommener Strommast in Sicht. Dann noch einer. Und weitere, in einer schmalen Reihe auf den Horizont zulaufend. Als Nächstes sah sie Lichter, strahlend und weiß, Reihen von Bäumen – die ersten seit Stunden –, einen breiten blauen Fluss, mit Autos verstopfte Straßen. Kurz darauf kehrte die Landschaft wieder zu Felsen, Ebenen und Hügelland zurück und wirkte von so weit oben wie ein
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