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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Autoren: Al Shaw
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an und schaltete den Motor aus.
    Es war ein dreistöckiges Gebäude, ein bisschen baufällig, aber trotzdem hübsch. Kenneth gestand, dass er seine Tage hauptsächlich damit verbrachte, sich im Fernsehen Kricketspiele anzusehen. Er erklärte scherzhaft, Kricket und eine Vorliebe für Rum wären alles, was er sich von seinem alten Leben auf St. Lucia bewahrt habe. Der Schlüssel zu Elsas Zimmer war groß und warm, genau wie die Hand, mit der Kenneth ihre umfasste, als er ihn ihr überreichte. Er drückte kurz ihre Finger und ließ dann langsam los.
    »Jetzt bist du da«, verkündete er mit feierlicher Stimme, denn er schien zu spüren, dass dies ein bedeutungsvoller Moment für sie war. Ein Adrenalinstoß ließ Elsa wieder munter werden. Ja, sie war da. Am Anfang ihres neuen Lebens.
    Sie grinste und Kenneth lächelte ihr vom Fuß der Treppe aus nach, als sie sich auf den Weg ins oberste Stockwerk machte. Kenneth hatte ihr erzählt, wie er vor ein paar Jahren den Dachboden zu einem Einzimmerapartment ausgebaut hatte, als sein erwachsener Sohn hergezogen war und eine eigene Wohnung brauchte. Nun stand Elsa vor der Tür: dickes, lackiertes Holz, wie der Deckel einer Schatztruhe. Sie wog den Schlüssel in ihrer Hand, allein der Griff hatte die Größe eines Medaillons und war angenehm schwer. Sie steckte ihn ins Schloss und hielt kurz inne, um die alte Messingklinke und den Rost an den Türangeln zu bestaunen, dann ergriff sie den Schlüssel fest mit Daumen und Zeigefinger und drehte ihn um.
    Der Mechanismus des Schlosses gab ein Geräusch von sich, das dem einer Münze ähnelte, die in einen Wunschbrunnen fällt. Elsa öffnete die Tür und lauschte dem Gesang der Angeln.
    Sie schloss die Augen und dachte an all die Orte, an denen sie im Laufe ihres Lebens schon geschlafen hatte. Ihr Kinderbett, in dem sie sich immer die Daunendecke bis über den Kopf gezogen hatte, um beim Licht einer Taschenlampe im Wolkenatlas ihres Dads zu lesen; das Bett im Studentenwohnheim, das sie mit so einigen Wanzen und Jungs geteilt hatte; die schmale Pritsche in ihrer New Yorker Einzimmerwohnung; Peters Bett mit den weichen weißen Laken; Klappbetten und Sofas und Fußböden.
    Sie öffnete die Augen.
    Hinter der Tür wartete ein kleiner dunkler Flur, und als Elsa einen Schritt hinein machte, war sie so aufgeregt, dass sie beinahe damit rechnete, die Luft um sich herum knistern zu hören. Sie tastete an der Wand nach dem Lichtschalter und drückte darauf.
    Die Tapete war grau mit einem Muster, das möglicherweise einmal kunstvoll gewirkt hatte, jetzt jedoch so ausgeblichen war wie der Kondensstreifen eines Flugzeugs. Das Papier wellte sich an einigen Stellen, wo es auf die Fußleisten stieß, die einen Boden aus nackten Holzdielen einfassten. Am Ende des Flurs hing ein bodenlanger, silbergerahmter Spiegel, der aus einem Märchenbuch hätte stammen können.
    Elsa stellte ihre Koffer im Flur unter einer Reihe von Garderobenhaken ab, dann holte sie tief Luft und schob die Wohnungstür hinter sich zu. Zu beiden Seiten des Spiegels befand sich je eine geschlossene Tür. Sie ging durch den Flur und öffnete die linke.
    Das also würde ihr neuestes Schlafzimmer werden. Hohe Decke, ein breites, grau bezogenes Bett und ein antiker Holzschrank. Dieser nahm die gesamte Wand ein und seine Türen waren mit einer Schnitzerei aus verschlungenen Linien verziert, die sich geradezu hypnotisierend umeinander wanden. In den äußeren Ecken jeder Schranktür entdeckte sie pausbäckige Gesichter, deren gespitzte Lippen den Ursprung der strudelnden Spiralen markierten. Sie grinste, als sie daran dachte, wie ihr Vater mit ihr im Kinderzimmer herumgealbert hatte, als sie noch klein gewesen war. Schnaufend und mit den Armen rudernd hatte er den tosenden Nordwind gespielt.
    Elsa öffnete den Schrank, dessen Inneres sie mit dem Duft von Holzpolitur und dem Klirren von Drahtbügeln begrüßte. An der Kleiderstange hing kopfüber ein getrockneter Blumenstrauß. Sie klappte den ersten Koffer auf, um ihre Sachen auszupacken, doch plötzlich fehlte ihr die Energie dazu. Das konnte auch bis zum Morgen warten, doch bevor sie die Schranktüren sorgfältig wieder schloss, legte sie die Geschenke ihrer Mutter (noch immer verpackt und in einer Plastiktüte) in eines der Fächer. So gut ihre Mutter es auch gemeint hatte, Elsa wollte nicht, dass ihr altes Leben ihr nach Thunderstown folgte.
    Zurück im Flur, fand sie als Nächstes heraus, dass die andere Tür in ein Wohnzimmer mit
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