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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Autoren: Al Shaw
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zu landen. Straßen, die auf den ersten Blick daran vorbeizuführen schienen, beschrieben im letzten Moment eine scharfe Kurve und lieferten sie doch wieder dem finsteren Bau aus.
    Ein weiteres Detail, an das sie sich aus Kenneths Beschreibungen erinnerte, war die Tatsache, dass man vor nicht allzu langer Zeit bei Grabungen in den Gewölben unterhalb der Kirche auf die Überreste anderer Gebäude gestoßen war. Man vermutete, dass es die Fundamente uralter Tempelanlagen waren, die zu Ehren noch älterer Gottheiten errichtet worden waren. Als ihr Weg sie das nächste Mal zu der Kirche führte, überkam Elsa das schaurige Gefühl, dass dieser Ort auf irgendeine Weise die Vergangenheit bewahrt hatte. Sie blickte zu dem kahlen Glockenturm mit dem düsteren Kruzifix auf, das wie aus zwei gekreuzten Kohlestäben gefertigt schien. Es war das Prunkstück einer ganzen Sammlung von Metallarbeiten, die die Dächer von Thunderstown zierten. Auf den Firsten schimmerten Hunderte von Wetterfahnen, manche davon geformt wie Tiere, andere wie menschliche Gesichter mit geschürzten Lippen, die eine Brise durch die Stadt zu blasen schienen. Windböen hüpften flink von Regenrinne zu Regenrinne und tippten dabei an die Wetterfahnen wie Techniker, die die Hebel einer komplizierten Apparatur betätigten.
    Elsa bog um eine Ecke des Kirchengebäudes. Ein Stück vor ihr hatte sich eine Gruppe von Menschen an der Mauer zusammengefunden. Die Leute trugen Regenmäntel und Schultertücher und veranstalteten einen ziemlichen Tumult. Als sie näher kam, wandten sich ein paar Köpfe in ihre Richtung, doch was immer sich in ihrer Mitte befand, schien ihre Aufmerksamkeit mehr zu fesseln als Elsas fremdes Gesicht. Die Leute murmelten miteinander und ihre Stimmen klangen ernst. »Nimm meine Hand«, flehte eine Frau die Person neben sich an. »Ich kann gar nicht hinsehen«, jammerte jemand anderes. »Wo bleibt denn bloß Daniel?« – »Ja, wann kommt Daniel?«
    Elsa drängte sich zwischen den Leuten hindurch, um zu sehen, was der Grund für all die Aufregung war. Vor der Steinmauer kauerte etwas. Ein Hund, der angesichts der Menschen, die ihm den Fluchtweg versperrten, unsicher knurrte. Elsa konnte nicht sagen, was für einer Rasse er angehörte, aber er ähnelte einem irischen Wolfshund: groß, mit elegantem Körperbau, struppigem Fell und silbernen Barthaaren. Schnauze und Ohren erinnerten an die eines Fuchses und Elsa war überrascht, als sie die Farbe seiner Augen sah: eine Mischung aus Blau und Braungrau, genau wie der Himmel heute mit seinen verstreuten Wolken.
    Der Hund trug kein Halsband und dem getrockneten Schmutz in seinem Fell nach zu urteilen, war er entweder wild oder ausgesetzt worden. Er wirkte kaum bedrohlich, doch als er sich ein winziges Stückchen auf die Menschen zubewegte, drohte ihm ein Mann so vehement mit seinem Spazierstock, dass das Tier sich winselnd ans Mauerwerk presste.
    Ein Seufzer der Erleichterung brandete durch die Menge und die Leute machten Platz für einen hochgewachsenen Mann mit einem breitkrempigen Hut. Er hatte einen schwarzen Bart, dunkle Augen und ein römisch anmutendes Profil. Die Autorität seiner imposanten Erscheinung wurde von den Stadtbewohnern bestätigt, die bei seiner Ankunft merklich aufatmeten. Sein Bart hing ihm in drahtigen Strähnen von den Wangenknochen bis zum Schlüsselbein herab. Neben seinem Regenhut, den er abnahm, als er sich dem Hund näherte, trug er eine abgewetzte Hose, hohe Lederstiefel und ein braun kariertes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, die muskulöse Unterarme entblößten.
    Als der Hund ihn sah, stand er plötzlich ganz still, beinahe, als hätte er ihn erkannt. Der Mann hockte sich hin, bis sein Kopf sich auf derselben Höhe befand wie der des Hundes, Barthaar an Barthaar. Eine Weile starrte er bloß in die seltsamen Augen des Tieres, dann gab er ein tiefes kehliges Grollen von sich, wie das Geräusch einer fernen Steinlawine. Der Hund schien sich etwas zu beruhigen, er neigte den Kopf und schob ihn nach vorn, bis seine Schnauze sich an die Brust des Mannes schmiegte. Der Mann hob die Arme und begann den Hund zu streicheln, mit der einen Hand rieb er über die glatte Stelle zwischen seinen Ohren, während er mit der anderen das weiche Fell an seiner Kehle kraulte.
    Dann verschoben sich seine Hände ruckartig und das Genick des Hundes brach mit einem trockenen Klicken.
    Die Menge wich einen Schritt zurück, und plötzlich stand Elsa, starr vor Schreck, ganz vorne. Der Mann
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