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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Autoren: Al Shaw
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»Warum kaufen wir uns nicht einfach ein Zelt und fahren nach Westen? Ein bisschen frische Luft würde dir bestimmt guttun.« Er hatte alles in die Hand genommen, und als sie schließlich an einem sonnigen Spätnachmittag auf einer Lichtung in Pennsylvania ihr Zelt aufschlugen, hatte Elsa gedacht: Ja, das ist genau das, was ich brauche. Sie hatte den Kopf an seine Schulter gelegt und in die Glut des Lagerfeuers gestarrt, den Duft des brennenden Holzes eingeatmet und die Kombination aus der wohltuenden Wärme der letzten Sonnenstrahlen genossen, der intensiven Wärme des Feuers und jener inneren Wärme, mit der die Flasche Rotwein sie erfüllt hatte, die sie beim Entzünden des Feuers zusammen geleert hatten. Peter hatte eine weitere Flasche genommen, schwungvoll den Korken herausgezogen und ihr Glas nachgefüllt. Die Blätter zitterten im Wind, leicht wie Federn. Zwei Eichhörnchen huschten von Ast zu Ast. Ein Vogel flatterte zwitschernd über die Lichtung. Und dann tat Peter etwas, was ihr den Boden unter den Füßen wegriss.
    »Elsa«, sagte er und griff in die Tasche seiner Jeans. Als er die Hand wieder herauszog, hielt er etwas in der Faust verborgen. Er öffnete sie und in seiner Handfläche lag ein Ring.
    »Elsa … willst du mich heiraten?«
    Sie starrte auf den schmalen Goldreif, dessen diamantenes Auge zurückstarrte. Ihr Blick folgte der Rundung des Rings, wieder und wieder und wieder. Als sie die Hand danach ausstreckte, wirkte die Welt ringsum mit einem Mal furchtbar schwer. Die Blätter und Grashalme lagen flach am Boden, massiv wie Briefbeschwerer. Sie sah durch den Ring wie durch ein Fernrohr und die Bäume neigten sich, Zweige schabten aneinander und auf einem gekrümmten Ast saß ein Vogel und beobachtete sie mit schräg gelegtem Kopf. Ihr Magen zog sich zusammen. Die Welt veränderte sich, formierte sich neu wie die Zeiger auf einem riesigen Zifferblatt.
    »Elsa?«
    Sie ließ den Ring zurück in Peters Hand fallen und würgte einen unerwarteten Schwall Tränen hinunter.
    Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Elsa … Elsa, ich liebe dich.«
    Sie weinte. Als sie angefangen hatten, miteinander auszugehen, hatten sie sich mit kühlem Zynismus darauf geeinigt, dass Liebe nichts als das Ergebnis chemischer Reaktionen und elektrischer Impulse im Gehirn war und all der damit verbundene Kitsch in einen Souvenirladen verbannt gehörte. »Liebe«, hatte sie Peter einmal erklärt, »hat nicht viel mehr Bedeutung als das Herz auf einer I-Heart-NY-Baseballkappe.« Und er hatte ihr beigepflichtet.
    Und doch schien er es in diesem Moment vollkommen ernst zu meinen, als er auf den Knien vor ihr hockte und zu ihr aufblickte.
    Und sie liebte ihn nicht, auch wenn er ihr sehr viel bedeutete, wusste nicht einmal, ob sie überhaupt an die Liebe glaubte, sie hatte ihren Vater verloren und wollte einfach nur denselben Weg gehen wie er, fortgetragen von einem Tornado, um ihn an dem Ort, für den er die Erde verlassen hatte, wiederzusehen, und das konnte sie Peter nicht erklären, genauso wenig, wie sie ihm erklären konnte, warum ihr Leben plötzlich in Scherben lag und sie nichts mehr über sich selbst zu wissen schien.

Am nächsten Morgen fand Elsa Kenneth Olivier im verdorrten Vorgarten, wo er mit einer Gartenschaufel angestrengt Unkraut ausbuddelte. Als er sie sah, richtete er sich auf und klopfte sich die ausgeblichene Erde von den Fingern. »Na, wieder auf Entdeckungsreise?« Sie nickte. Sie hatte ihre Sonnenbrille aufgesetzt, sich das Gesicht dick mit Sonnencreme eingeschmiert und eine Flasche Wasser in ihre Umhängetasche gepackt. »Ich will rauf in die Berge.« Er blickte sie nachdenklich an. »Auf welchen soll’s denn gehen?«
    Sie überlegte kurz und deutete dann mit dem Finger. »Auf den da.« Drei der vier Gipfel waren von hier aus sichtbar. Der vierte, der Merrow Wold, war im Süden hinter einer niedrigen Wolkenbank verschwunden. Der Rest des Himmels war von ungebrochenem Blau, nur die Wolke über dem Merrow Wold schimmerte fahl wie Asche. Im Norden leuchteten die zerklüfteten Spitzen des Devil’s Diadem im Sonnenlicht, während im Osten allmählich das Gesicht des Drum Head sichtbar wurde. Elsa aber zeigte auf den Berg im Westen, den buckligen Riesen mit Flanken so schwarz wie Ruß. »Old Colp«, sagte Kenneth. »Ja, genau. Laut deiner Karte soll es da einen Aussichtspunkt geben. In der Nähe irgendeiner Windmühle, wenn meine Karteniesefähigkeiten mich nicht völlig im Stich gelassen haben.«
    »Hmm.
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