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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt
Autoren: Al Shaw
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verletzlich.
    Er stand auf und ging schwankend zur Tür. Er stolperte und wäre ein paarmal fast gestürzt, als er die Wendeltreppe hinunterging. Unten in der leeren Kirche blieb er stehen, denn auf einer der Bänke lag etwas, das er wiedererkannte, obwohl er nicht recht sagen konnte, wo er es schon einmal gesehen hatte. Er hob es auf und boxte es in Form, dann knetete er einen Moment lang die Krempe, die noch immer nass vom Regen war.
    Nach einer Weile erinnerte er sich. Daniel Fossiters Regenhut. Alles, was passiert war, stürzte auf ihn ein.
    Angefangen hatte es mit einem Traum vom Fallen, doch anstelle der Dunkelheit des Schlafes war er von einem weißglühenden Licht umgeben gewesen. Lange Zeit war er gefallen, kopfüber, längst über den Punkt hinaus, an dem das Schwindelgefühl des Sturzes den Träumenden aus dem Schlaf riss. Weiter, immer weiter, vom qualvollen Bewusstsein seines eigenen Gewichts erfüllt, und dieses Gewicht war es, das seinen Sturz schließlich verlangsamte. Die Schwere war einer Art Anziehungskraft gewichen und er hatte nicht mehr das Gefühl zu fallen, sondern zu einem winzigen Atomkern zusammengepresst zu werden. Nach einer Weile schien er nur noch in der Luft zu hängen, wie erstarrt durch seine eigene Körperlichkeit. Und plötzlich hatte er nicht mehr gehangen, sondern gelegen, hingestreckt hoch oben auf einem Kirchturm.
    Nach einer Weile faltete der Mann den Hut zusammen und steckte ihn in seine Hosentasche. An irgendeinem Punkt während des Fallens hatte er eine fremde Gegenwart gespürt, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegte.
    »Du wirst mir fehlen«, sagte er.
    * * *
    Als Elsa an diesem sonnigen Morgen unter einem postkartenblauen Himmel erwachte, zog sie sich die Decke über den Kopf. Sie lag in ihrem schmalen Bett in der Klosterzelle und wünschte sich, während durch das Fenster der Duft von Blütenstaub hereindrang, nichts sehnlicher, als dass ein Regenschauer dem honigsüßen Gezwitscher der Vögel ein Ende machen würde. Ihre Tränenkanäle waren ausgetrocknet vom vielen Weinen, doch sie wusste, es würde weitergehen, sobald sie sich wieder gefüllt hatten.
    Sie verschlief die erste Hälfte des Tages. Von Daniel war nichts zu sehen. Sie vermisste ihn und begann zu fürchten, dass er sie aufgegeben hatte. Wahrscheinlich hatte er sich einfach niedergeschlagen auf seinem Hof verkrochen.
    Am Nachmittag konnte sie zum ersten Mal aufstehen. Ihre Muskeln verkrampften sich bei jedem Schritt immer weiter und sie schaffte nur eine einzige Runde durch den Raum, bevor sie erschöpft zurück aufs Bett fiel.
    Der Schlaf brachte keine Erleichterung. Sie träumte von Regen, der aus den Weiten des Himmels herabfiel.
    Als sie das nächste Mal aufwachte, war es Abend. Hinter dem hohen Fenster der Zelle funkelten die ersten Sterne und sie schaltete ihre Nachttischlampe ein. Sie wollte keine Sterne. Sie wollte schwarze Wolken, aus denen Wasser herabströmte.
    Das Einzige, womit sie sich ablenken konnte, war ein Wolkenatlas von Dot. Die alte Nonne hatte ihr davon abgeraten, ihn ihr dann aber doch widerstrebend ausgeborgt, als Elsa darauf bestanden hatte. Jetzt wünschte Elsa, sie hätte Dots Rat befolgt, denn in dem Moment, als sie das Buch aufschlug und die schwarze Ambossform eines Kumulonimbus sah, schnürte es ihr die Kehle zu und sie schleuderte den Atlas durch den Raum.
    Sie legte ihren Kopf aufs Kissen und starrte an die Decke, sie dachte an ihren Dad und daran, dass Zimmerdecken ziemlich robust sein mussten, um all den Bitten und Gebeten standzuhalten, die zu ihnen hinaufgeschickt wurden.
    Die Motte, die mittlerweile so etwas wie eine Zellengenossin für sie geworden war, saß noch immer dort, die braunen Flügel über dem Gips ausgebreitet. Angesichts des Nachttischlampenlichts wurde sie jedoch lebendig, ließ sich von ihrem Ruheplatz fallen und umschwirrte die Lichtquelle. Als sie begann, sich gegen den Lampenschirm zu werfen, huschten verzerrte Schatten über die Decke. Elsa musste an Finns Mobiles denken, die nun allein und verlassen in seiner Kate hingen, und sie wünschte, sie hätte die Papiergans bei sich, die er für sie gefaltet hatte, oder wenigstens den Wolkenkratzer. Sie musste die Lampe ausschalten und den Anblick der Sterne ertragen, damit die Motte aufhörte, sie an die Papierfiguren zu erinnern.
    Eine Brise strich vor dem Fenster vorbei.
    Elsa setzte sich kerzengerade auf und wurde dafür mit einem sengenden Schmerz in ihren Seiten belohnt. Dieses Mal jedoch
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