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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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wie ein toter Hering. Habe ich dir erzählt…«
    »Ja, das hast du.«
    Sie hatten das Ende des Karlbergs Strand erreicht, aber statt die neue Straße in Richtung Sundbybergsvägen entlangzufahren - was unzweifelhaft der kürzeste Weg zum Polizeirevier war -, fuhr Kristiansson etwas weiter und durch die Huvudsta alle, einen Weg, den nur selten jemand benutzte.
    Später würden ihn viele fragen, weshalb er gerade diesen Weg gewählt hatte. Diese Frage war nicht zu beantworten. Er tat es eben. Kvant kümmerte sich nicht um die Kursänderung. Er war zu lange Streifenwagenfahrer, um noch zwecklose Fragen zu stellen. Statt dessen sagte er grübelnd: »Ich begreife einfach nicht, was mit ihr los ist. Mit Siv meine ich.« Sie fuhren am Schloß Huvudsta vorbei.
    Nicht sehr schloßähnlich, dachte Kristiansson zum vielleicht fünfhundertstenmal. Zu Hause in Schonen gibt es richtige Schlösser. Mit Grafen drin. Laut sagte er: »Kannst du mir zwanzig Piepen leihen?« Kvant nickte. Kristiansson litt an chronischem Geldmangel. Sie fuhren langsam weiter. Rechts lag ein Komplex neuerbauter Hochhäuser, links zog sich ein schmaler, dicht bewachsener und gewundener Waldgürtel zwischen der Straße und dem Ulvsundasjö hin. »Halt an«, sagte Kvant.
    »Warum?« »Ich muß mal.« »Wir sind gleich da.«
    »So lange kann ich nicht warten«, entgegnete Kvant. Kristiansson bog nach links ab und ließ den Streifenwagen langsam auf eine Lichtung rollen. Dort hielt er an. Kvant stieg aus und ging um das Auto herum zu einigen niedrigen Büschen, stellte sich breitbeinig hin und pfiff vor sich hin, während er den Reißverschluß herunterzog. Er blickte über die Büsche hin. Als er den Kopf ein wenig drehte, sah er in nur fünf Meter Entfernung einen Mann bei der gleichen Beschäftigung.
    »Entschuldigung«, sagte Kvant und blickte diskret zur Seite. Er ordnete seine Kleidung und ging zum Streifenwagen zurück. Kristiansson hatte die Tür geöffnet und betrachtete die Gegend.
    Zwei Meter vom Auto entfernt blieb Kvant wie angewurzelt stehen und sagte: »Der sieht doch aus wie… und da hinten sitzt ein…« Gleichzeitig sagte Kristiansson: »Hör mal, der Kerl da…« Kvant drehte sich um und ging auf den Mann im Gebüsch zu.
    Kristiansson stieg aus dem Auto.
    Der Mann trug eine beigefarbene Manchesterjacke, ein schmutziges weißes Hemd, zerknitterte Hosen und schwarze Schuhe. Er war mittelgroß und hatte schütteres, nach hinten gekämmtes Haar und eine kräftige Nase. Und er hatte seine Kleidung noch immer nicht in Ordnung gebracht.
    Als Kvant sich ihm bis auf zwei Meter genähert hatte, hob der Mann den linken Arm vors Gesicht und sagte: »Nicht schlagen.«
    Kvant stutzte.
    »Waas?« fragte er.
    Wenn auch seine Frau noch frühmorgens gesagt hatte, er sei ein ungehobelter Bursche und das sehe ein jeder ihm an - dies ging nun doch zu weit. Er nahm sich zusammen und fragte: »Was machen Sie hier?«
    »Nichts«, antwortete der Mann und lachte auf. Sein Lachen klang wirr und tonlos. Kvant musterte die Kleidung des Mannes.
    »Können Sie sich ausweisen?«
    »Ja, ich habe meinen Rentenbescheid in der Tasche.« Kristiansson kam heran.
    »Na, wie geht's hier denn so?«
    Der Mann sah ihn an und bat abermals: »Nicht schlagen.«
    »Heißen Sie nicht Ingemund Fransson?« fragte Kristiansson.
    »Ja«, antwortete der Mann.
    »Ich glaube, es ist das beste, wenn Sie mit uns kommen«, sagte Kvant und nahm ihn am Arm. Der Mann ließ sich willig zum Streifenwagen führen.
    »Steigen Sie hinten ein«, sagte Kristiansson.
    »Und knöpfen Sie sich die Hose zu«, fügte Kvant hinzu.
    Der Mann zögerte einen Augenblick, dann lachte er auf und gehorchte. Kvant stieg ebenfalls hinten ein und setzte sich neben ihn.
    »Nun zeigen Sie mal diesen Rentenbescheid her«, sagte Kvant.
    Der Mann griff in die Gesäßtasche und zog ein Papier hervor. Kvant beobachtete ihn und reichte dann Kristiansson das Papier.
    »Ja, stimmt. Es gibt keinen Zweifel mehr«, stellte Kristiansson fest.
    Kvant starrte den Mann mißtrauisch an und sagte schließlich: »Ja. das ist er.« Kristiansson ging um das Auto herum, öffnete die Tür auf der gegenüberliegenden Seite und begann, die Jackentaschen des Mannes zu untersuchen.
    Jetzt, aus der Nähe, sah er, daß dessen Wangen eingefallen und Kinn und Wangen von mehrere Tage alten Bartstoppeln bedeckt waren.
    »Hier!« Kristiansson zog einen Gegenstand aus der Innentasche der Jacke. Es war ein hellblauer Kinderschlüpfer.
    »Aha«, sagte Kvant.
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