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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Carroll
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Vorstandsmitglieder an die altmodische Auffassung, dass die Post ein Hort der Tradition ist, ohne den uns der Himmel auf den Kopf fallen wird. Das mag einmal so gewesen sein, heute aber eindeutig nicht mehr. Die Zeiten ändern sich, und wenn wir uns nicht mit ihnen ändern, werden wir zugrunde gehen. So einfach ist das.
    Noch schlimmer ist, dass eine weitere Entlassungswelle in der Luft liegt. Bald drohen wieder Stellenkürzungen, und wieder wird man einige Leute auffordern, für viel weniger Geld und in einer Dreitagewoche genau dieselbe Arbeit zu erledigen wie bisher. Und das sind noch die, die Glück haben, schließlich behalten sie ihren Job und haben eine Chance, weiter die Raten fürs Haus und das Schulgeld zu bezahlen und von den im schwindelerregenden Tempo steigenden Lebenshaltungskosten nicht abgehängt zu werden. Was wird aus denen, die ohne viel Federlesen vor die Tür gesetzt werden und von denen man nie wieder etwas hört?
    Oh Gott, denke ich. Bei der bloßen Vorstellung, dass die Tage einiger Kollegen, denen ich tagtäglich auf dem Flur begegne, gezählt sein könnten, wird mir ganz flau. Und was noch schlimmer ist: Ich bin die Einzige, die verhindern kann, dass sie in der Schlange auf dem Arbeitsamt landen. Auch wenn sie es nicht ahnen, hängt ihr Überleben einzig und allein von mir ab. Dieser Druck ist manchmal unerträglich.
    Ich weiß, dass ich recht unangenehm werden kann, wenn nicht jemand so auf Zack ist, wie er sein sollte, wenn er nicht so fleißig wie möglich arbeitet und wenn er in der Redaktion privat telefoniert oder im Internet surft.
    Keuchend und schnaufend beschleunige ich meinen Schritt. Ich muss mir mehr Mühe geben, denke ich. Auch wenn ich nicht weiß, wie ich das anstellen soll, muss ich einen Weg finden, mehr Stunden in den Tag zu packen. Denn selbst wenn es mich umbringt, wird hier niemand arbeitslos, solange ich das Sagen habe.
    Mein Büro ist ganz oben im vierten Stock, ein wunderschöner, luftiger Eckraum mit hohen Fenstern, die Aussicht auf die geschäftige Tara Street bieten. Nicht, dass ich je eine Sekunde Zeit hätte, den Blick zu genießen. Jeden Morgen zeige ich an der Pforte meinen Ausweis vor, durchquere auf dem Weg in meine Höhle das Großraumbüro und werde an der Wand über meinem Schreibtisch von einem riesigen Porträt begrüßt, das Douglas Merriman, den Gründer und ersten Chefredakteur des Blattes, darstellt. Vor hundertfünfzig Jahren hatte er in dem Büro gesessen, das nun meines ist. Er war ein alter Kauz, und wenn ich seinen Eulenblick durch die strenge viktorianische runde Brille auf mir spüre, schaue ich zurück und denke dasselbe wie jeden Tag, seit ich hier arbeite. Mistkerl. Du musstest dich nie mit dem digitalen Zeitalter herumschlagen, mit E-Mails und Handys, die dich selbst am Sonntag um zwei Uhr morgens an die Redaktion ketten. Richtig? Du warst nicht gezwungen, mit Sendern zu konkurrieren, die rund um die Uhr Nachrichten bringen. Du hast nie versucht, in der schlimmsten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise Zeitungen zu verkaufen, oder?
    Gerade klappe ich meinen Aktenkoffer auf und hole meine Anmerkungen zur heutigen Ausgabe heraus. Wir fangen immer den Tag damit an, dass wir die heutige Frühausgabe durchgehen und feststellen, wo wir einen Treffer gelandet haben, was wir anders hätten machen können und wo es noch Raum für Verbesserungen gibt. Alle Ressortchefs müssen zu dieser Sitzung erscheinen, was bedeutet, dass etwa zwölf Personen – von Innenpolitik bis zu Ausland, Sport und Feuilleton – um einen Konferenztisch sitzen.
    Ehe ich mich versehe, steht Seth Coleman in meiner Tür. Das Anklopfen hat sich der Widerling gespart. Wie immer ist er angezogen, als hätte seine Mummy ihm die Sachen rausgelegt. Interessanterweise habe ich ihn lange für einen verkappten Schwulen gehalten, denn kein Heteromann würde eine Hose mit Bügelfalten tragen. Allerdings hat er bei der letzten Weihnachtsfeier den Fehler gemacht, mich plump anzubaggern. Ich weiß noch, wie entgeistert ich ihn angestarrt habe. Dass er es fertiggebracht hat, meine tiefe Abneigung gegen ihn als Begierde zu missdeuten, ist für immer in der Komikabteilung meines Gehirns abgespeichert.
    Schade, dass Sie das nicht mit eigenen Augen gesehen haben, aber glauben Sie mir, es war einfach zum Totlachen.
    »Morgen, Eloise, was machen Sie denn noch hier? Sie haben noch genau eine Minute.«
    Als ob wir hier in der Fernsehserie 24 wären. Und ich wäre der Terrorismusexperte Jack
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