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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Carroll
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darzustellen, mit der kein Kindermädchen, das etwas auf sich hielte, unter einem Dach leben wolle.
    Das tat zwar ein wenig weh, doch es gelang mir, mir nichts anmerken zu lassen. In meiner Branche ist ein Pokerface ein absolutes Muss.
    Um Viertel nach sechs haste ich aus der Tiefgarage des Redaktionsgebäudes der Post nach oben, inzwischen die einzige sportliche Betätigung, für die ich noch Zeit finde.
    Allerdings ist diese Schinderei in der Zeitungsbranche mittlerweile Normalzustand, denn seit der Rezession ist unsere Auflage in den Keller gefallen. Das ist auch ein Grund für schlaflose Nächte, wenn man zufällig Chefredakteurin ist, deren Arbeitsvertrag noch in diesem Geschäftsjahr zur Verlängerung ansteht.
    Das Problem ist, dass den Leuten der Geldbeutel nicht mehr so locker sitzt wie früher. Marktforschungsanalysen zufolge haben die Leser, die in besseren Zeiten zum Zeitungskiosk gegangen sind, um nicht nur ihre tägliche Ausgabe der  Post , sondern, je nach Lust und Laune, auch einen Kaffee zum Mitnehmen oder Zigaretten zu kaufen, so massiv zu sparen angefangen, dass sie nun auf kostenlose Nachrichtenquellen wie das Fernsehen, das Radio oder das Internet zurückgreifen.
    Und was habe ich getan? Das Einzige, was ich kann. Ich habe die Herausforderung angenommen. Um dieser beunruhigenden Tendenz die Stirn zu bieten, habe ich stark in unsere Online-Ausgabe investiert, die im Grunde genommen noch in den Kinderschuhen steckt. Sie schlägt sich zwar recht wacker, ist aber nicht der große Knaller, auf den ich gehofft habe. Ein Punkt, auf den Seth Coleman mich regelmäßig hinweist. Außerdem habe ich einige Topjournalisten von Konkurrenzblättern abgeworben, damit sie für ein Erpresserhonorar stattdessen für uns schreiben. Auch das hat den Negativtrend ein wenig aufgehalten. Kommentatoren, Nachrichtenleute und Autoren mit hohem gesellschaftlichem und politischem Bekanntheitsgrad sind jeden Penny wert, den ich ihnen bezahle.
    Denn, wie ich gegenüber dem Verlagsvorstand, vor dem ich mich letztlich verantworten muss, immer wieder leidenschaftlich beteuere, hat sich die Welt der Nachrichten verändert. Ob es uns nun gefällt oder nicht, Nachrichten sind im Gegensatz zu früher nicht mehr das exklusive Vorrecht der Zeitungen, sondern überall zu haben. Jeder Idiot, der ein Handy besitzt, kann sich bei Twitter einklinken und eine Geschichte schneller verbreiten als wir. Und, glauben Sie mir, das geschieht ständig. Wer keine Zeitung kaufen will, schaut sich die Nachrichten auf SKY an, wo sich die Ereignisse auf dieser Welt pünktlich zu jeder Stunde vor seinen Augen entfalten. Eine Zeitung, die jeden Abend um elf in den Druck geht und alle Vorfälle während der Nacht ausblendet, ist nur fünf Stunden später beinahe überholt und hat etwas reizend Altmodisches an sich.
    Ich habe mich Tag und Nacht krummgeschuftet, um diesem Problem durch unsere Online-Ausgabe entgegenzuwirken. Doch Nachrichten schlafen nicht, weshalb die Tatsache, dass wir irgendwann einen Schlussstrich ziehen und drucken müssen, weiterhin die Wurzel allen Übels ist.
    Allerdings wird es inzwischen immer schwieriger, unserem Vorstand, der ausschließlich männlich ist und ein Durchschnittsalter von fünfundsechzig Jahren hat, das Geld dafür abzuschwatzen. Ich nenne sie die Tyrannosaurier, da sie mich wirklich an Relikte aus einer längst vergangenen Ära erinnern, in der in einer Zeitungsredaktion nur das laute Geklapper klobiger mechanischer Schreibmaschinen zu hören war. Aus einer Zeit, in der Chefredakteure noch angesäuselt von ausgiebigen und alkoholgeschwängerten Geschäftsessen zurückkehrten, bei denen sie Bellinis und Wein in sich hineinschütteten und dicke Spesenkonten hatten, um Anzeigekunden zu bewirten. Wenn sie dann am späten Nachmittag sturzbetrunken in die Redaktion gewankt kamen, zuckte niemand mit der Wimper.
    Das war eine andere Epoche, die Blütezeit der Zeitungsbranche. Offen gestanden fühle ich mich inzwischen manchmal wie die tapfere Nachhut, die für den Erhalt eines sterbenden Mediums kämpft. Das Internet hat mittlerweile sogar schon die Regenbogenpresse überflügelt. Mit jedem Tag wächst mein Eindruck, dass ich einen Öltanker durch ein Minenfeld steuere und dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Presse ausstirbt.
    Der Vorstand stuft unterdessen allein das nackte Überleben schon als Erfolg ein, was meiner Ansicht nach nicht ausreicht, zumindest nicht in diesem Klima. Und dennoch klammern sich die
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