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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Carroll
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Bauer.
    »Alle sind bereits im Konferenzraum«, näselt er und streicht sich dabei das Haar zurück, obwohl es bereits von schätzungsweise einem halben Pfund Pomade zusammengehalten wird. »Alle Ressortchefs sind vollständig versammelt. Hoffentlich fehlt Ihnen nichts. Unpünktlichkeit passt so gar nicht zu Ihnen.«
    Anstelle einer Antwort nicke ich nur knapp und lächle mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Haben Sie noch einmal über mein Angebot nachgedacht, Sie dieses Jahr zum Vorstandswochenende zu begleiten?«
    Kurz schwebt ein unausgesprochener Gedanke zwischen uns in der Luft, denn eigentlich möchte er mir Folgendes mitteilen: »Sei doch ehrlich, etwas Besseres als mich kriegst du sowieso nicht mehr.«
    Ich achte nicht darauf und tarne meinen Ärger hinter einem Blatt Papier. Anschließend schiebe ich mich rasch an ihm vorbei, um mich dem Tag zu stellen.
    Und immer wenn ich schon glaube, dass es nicht mehr schlimmer werden kann – dann kommt es natürlich besonders dicke. Was habe ich auch anderes erwartet? Inzwischen ist es halb drei. Ich bin schon wieder im Konferenzraum, habe das Gefühl, ihn nie verlassen zu haben, und leite die erste Sitzung des Tages, um den Entwurf der morgigen Ausgabe zu erörtern.
    In dieser Besprechung sitzen wir zusammen, schlagen mögliche Themen vor und reden darüber, welche Story morgen auf die Titelseite soll, was sich gerade tut und in den nächsten Stunden gründlich im Auge behalten werden muss und welche Artikel und Kommentare auf welche Seite gehören. Sämtliche Ressortchefs sind meiner Aufforderung gefolgt, stellen ihre Artikel vor und kämpfen um möglichst viele Spalten, wobei die Titelseite den Status des Heiligen Grals genießt.
    Für gewöhnlich empfinde ich diese Sitzungen als sehr anregend. Emotionen kochen hoch, und es wird leidenschaftlich gestritten – eine Praxis, die ich ermutige. Es ist immer ein Genuss, mitanzuhören, wie jeder Redakteur die Werbetrommel für sein Thema rührt. Darin sind wir ein wenig wie ein Debattierclub ohne Alkohol, denn die Ressortchefs vertreten ihre Ansichten so lautstark, wortreich und aggressiv wie Kneipengäste am Freitagabend, kurz bevor eine Schlägerei losbricht.
    Doch aus irgendeinem Grund bin ich heute Nachmittag nicht auf Zack.
    Ich kann mich nicht konzentrieren und schweife immer wieder ab. Nach allen Ereignissen an diesem Tag des Grauens, der schon mit einer Katastrophe begonnen hat, schaffe ich es einfach nicht, bei der Sache zu bleiben. Gut, natürlich war ich noch gegen acht Uhr heute Morgen felsenfest davon überzeugt, dass ich bis zum Abend Ersatz für Elka gefunden haben würde. Und zwar jemanden, der noch viel besser zu uns passt, wie ich sogar selbstzufrieden zu denken wagte. Eine Frau, die vielleicht ein kleines bisschen weniger launisch und anspruchsvoll ist und versteht, was es bedeutet, für eine alleinerziehende Mutter zu arbeiten.
    Um halb elf – inzwischen hatte ich die ersten Bewerberinnen unter die Lupe genommen – war ich zwar etwas desillusioniert, allerdings noch immer verhältnismäßig sicher, dass ich nur ein wenig würde aussieben müssen, um auf meine Mary Poppins zu stoßen. Mit Kandidatin eins und zwei hatte ich sicher einfach nur kein Glück gehabt. Ich musste einfach nur ein Weilchen weitersuchen, also bestand überhaupt kein Grund zur Panik.
    Um Viertel vor zwölf … nun, mittlerweile war die Stimmung umgeschlagen, und allmählich wurde ich ein wenig nervös. Außerdem wollte es mir einfach nicht in den Kopf, warum es mitten in einer Wirtschaftskrise so verdammt schwierig sein sollte, einen wirklich nicht anspruchsvollen Arbeitsplatz zu besetzen. Aber ich klammerte mich noch an die Hoffnung, dass ich bisher eben Pech gehabt hatte. Damit das optimale Kindermädchen in mein Leben spazierte – und blieb –, brauchte ich nur beharrlich zu sein.
    Jetzt, um zwei, nach dem letzten desaströsen Vorstellungsgespräch, bin ich absolut in Panik … anders kann ich es leider nicht in Worte fassen. Ein gutes Dutzend Stimmen debattieren hitzig und kämpfen um meine Aufmerksamkeit, während ich am Kopf des Konferenztischs sitze und so tue, als würde ich aufmerksam lauschen. Doch in Wirklichkeit bin ich ganz weit weg.
    Denn nun weiß ich es. Endlich ist es offiziell. Ich stehe am Rande des Abgrunds. Ich. Habe. Keine. Kinderbetreuung. Ab Ende dieser Woche wird es niemanden mehr geben, der auf Lily aufpasst. Keinen einzigen Menschen. Was, in Gottes Namen, soll ich dann tun? Die Kleine mit in die
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