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Der Lustmolch

Der Lustmolch

Titel: Der Lustmolch
Autoren: Christopher Moore
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und dreifache Schichten, ebenso wie die Inspektoren, die die Röntgenapparate bedienten. So kam es, daß ein Rohr übersehen wurde. Es war kein großer Fehler, sondern nur ein winzig kleines Leck. Kaum feststellbar. Ein verschwindend geringer Ausstoß an schwachstrahlender Radioaktivität, der mit den Gezeiten über den Kontinentalsockel hinausschwappte und von den endlosen Wassermassen immer mehr verdünnt wurde, bis er nicht einmal mehr für die empfindlichsten Meßgeräte feststellbar war. Und dennoch blieb das Leck nicht unentdeckt.
    Im tiefen Meeresgraben vor Kalifornien, in der Nähe eines unterseeischen Vulkans, wo das Wasser eine Temperatur von fast vierhundert Grad hatte und Schwarze Raucher ihre mineralische Suppe ausspien, wurde ein Geschöpf aus seinem langen Schlummer aufgerüttelt. Augen, die so groß waren wie Tellerminen, blinzelten die Verkrustungen jahrelangen Schlafes hinweg. Erfüllt von Instinkt, Sinneswahrnehmung und Erinnerung regte sich das Hirn des Seeungeheuers. Es erinnerte sich daran, wie es die Überreste eines russischen Atom-U-Boots verspeist hatte: saftige kleine Matrosen mit zartem Fleisch infolge des hohen Drucks und gewürzt mit einer pikanten radioaktiven Marinade. Es war die Erinnerung, die das Ungetüm erwachen ließ, und wie ein Kind, das an einem verschneiten Morgen durch den Duft von gebratenem Speck unter seiner warmen Bettdecke hervorgelockt wird, erhob es sich vom Meeresgrund, zuckte mit seinem riesigen Schwanz und begann seinen langsamen Aufstieg zu der Meeresströmung, die diesen verheißungsvollen Sinnenzauber herbeiwehte. Eben jene Meeresströmung, die an der Küste vor Pine Cove vorbeizog.
    MAVIS
     
    Mavis kippte sich einen ordentlichen Schluck Bushmills hinter die Binde, um über die Enttäuschung hinwegzukommen, daß sie niemandem mit ihrem Baseballschläger hatte eins überbraten können. Sie war nicht wirklich wütend auf Molly. Der Typ war schließlich nur ein lausiger Tourist gewesen, und das einzige, was ihn über die Mäuse in den Wänden erhob, war, daß er Bargeld mit sich herumschleppte. Vielleicht würde ja die Tatsache, daß überhaupt etwas im Slug passiert war, das Geschäft ein wenig beleben. Leute würden hereinkommen, um sich die Geschichte anzuhören, und Mavis konnte Geschichten derart ausdehnen, mit Spekulationen würzen und dramatisieren, daß darüber mindestens drei Drinks vergingen.
    Die Geschäfte hatten in den letzten beiden Jahren spürbar nachgelassen. Es schien so, als hätten die Leute einfach keine Lust mehr, ihre Probleme in die Bar zu schleppen. Dabei hatte es einmal eine Zeit gegeben, als jeden Nachmittag mindestens drei oder vier Kerle am Tresen saßen, die die Biere nur so in sich hinein- und ihre Herzen ausschütteten. Typen, die so voller Selbstekel waren, daß sie sich glatt den Hals verrenkt hätten, nur um nicht ihrem eigenen Antlitz in dem großen Wandspiegel hinter der Bar in die Augen blicken zu müssen. Nacht für Nacht waren die Stühle besetzt von Leuten, die jammerten, zeterten und moserten und damit gerade mal so lange aufhörten, wie es dauerte, um zum Klo zu wanken oder einen Quarter in die Jukebox zu werfen und einen der Songs aus dem breitgefächerten Sortiment der Selbstmitleidsballaden auszusuchen. Niedergeschlagenheit und heulendes Elend beförderten den Umsatz an alkoholischen Getränken, doch just daran herrschte seit einigen Jahren eine gewisse Knappheit. Für die Rezession auf dem Sektor menschliches Elend machte Mavis die Erholung der Wirtschaft, Val Riordan und die allenthalben um sich greifenden Gemüsediäten verantwortlich, und sie bekämpfte diese heimtückischen Elemente, die ihr ins Geschäft pfuschten, indem sie eine Happy Hour einführte, während der man zwei Getränke zum Preis von einem erhielt - und obendrein noch fettige Fleischgerichte gratis dazu. (Schließlich bestand der Sinn der Happy Hour doch wohl darin, jeglichem Glück den Garaus zu machen, oder?) Doch all ihre Bemühungen zeitigten nur den Effekt, daß ihre Gewinne sich halbierten. Wenn Pine Cove nicht länger in der Lage war, heulendes Elend zu produzieren, dann mußte sie eben welches importieren. Und so hatte sie eine Annonce aufgegeben, in der sie nach einem Blues-Sänger suchte.
    Der alte Schwarze trug eine Sonnenbrille, einen Fedora aus Leder und einen mitgenommenen Anzug aus schwarzer Schurwolle, der für die Jahreszeit zu warm war. Darüber hinaus trug er rote Hosenträger über einem Hawaiihemd, das mit barbusigen
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