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Der Lustmolch

Der Lustmolch

Titel: Der Lustmolch
Autoren: Christopher Moore
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Rentier-Muster im Preis hochgesetzt, nur um im Frühling erneut herabgesetzt zu werden.
    In Pine Cove, wo nichts passiert (oder zumindest lange nichts passiert ist), stellt der September ein Ereignis dar: eine stille Feier. Die Menschen hier mögen stille Ereignisse. Der Grund, warum sie irgendwann den großen Städten den Rücken kehrten, war, daß sie einer Umgebung entkommen wollten, in der dauernd irgendwas passierte. Der September ist eine Feier des Ewiggleichen. Jeder September ist so wie der vorherige. Allerdings nicht dieses Jahr.
    Dieses Jahr passierten drei Dinge. Keine großen Sachen, gemessen an den Standards einer Großstadt. Doch drei Dinge, die dem geliebten Status quo nichtsdestotrotz den Gnadenstoß versetzen sollten: Vierzig Meilen südlich entstand ein kleines, nicht sonderlich gefährliches Leck in einem der Kühlrohre des Kernkraftwerks Diablo Canyon; Mavis Sand gab im Songwriter Magazine eine Annonce für einen Blues-Sänger auf, der den ganzen Winter über im Head of the Slug Saloon spielen sollte; und Bess Leander, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, erhängte sich.
    Drei Dinge. Omen, wenn man so will. Der September ist eine verheißungsvolle Angelegenheit.

Sich eingestehen, daß man ein Problem hat.
    »Meine Liebe, meine Liebe, wie wunderlich ist alles heute! Wo gestern doch noch alles war wie immer. Ich frage mich, ob in der Nacht etwas mit mir geschehen ist? Laß mich überlegen: War ich die Gleiche, als ich an diesem Morgen erwacht bin? Es kommt mir fast so vor, als hätte ich mich ein wenig anders gefühlt. Doch wenn ich nicht mehr die Gleiche bin, dann ist die nächste Frage: Wer in aller Welt bin ich? Ah, welch ein großes Rätsel!«
    Lewis Carroll, Alice im Wunderland
     

-1-
    THOPILUS CROWE
    Für eine Tote roch Bess Leander ziemlich gut: Lavendel, Salbei und ein Hauch Nelke. Sieben Shaker Chairs hingen an Haken an den Wänden im Eßzimmer der Leanders. Der achte war unter Bess umgekippt, und an seiner Stelle baumelte Bess mit einem Kattunstrick um den Hals an dem betreffenden Haken. Von den Deckenbalken hingen getrocknete Blumen, Körbe in den verschiedensten Formen und Größen sowie Bündel getrockneter Kräuter.
    Theophilus Crowe wußte, daß er eigentlich alle möglichen polizeimäßigen Sachen machen sollte, doch statt dessen stand er einfach gemeinsam mit den beiden Rettungssanitätern der Feuerwehr von Pine Cove im Zimmer herum und starrte zu Bess hinauf wie zu einem Engel an einem Weihnachtsbaum. Theo dachte sich, daß Bess' pastellblauer Hautton sehr schön zu ihrem kornblumenblauen Kleid und dem Muster des englischen Porzellanservices paßte, das auf einfachen Holzregalen am Ende des Raumes verteilt war. Es war sieben Uhr morgens, und Theo war, wie üblich, ein wenig stoned.
    Theo hörte Schluchzer aus dem ersten Stock, wo Joseph Leander seine beiden Töchter, die noch immer ihre Nachthemden trugen, daran hinderte herunterzukommen. Es gab im ganzen Haus keinerlei Anzeichen für die Anwesenheit eines Mannes. Es war wie aus dem Schöner-Wohnen-Sonderheft Landleben: Dielenboden aus Kiefernholz, Weidenkörbe, Blumen und Stoffpuppen. Kräuteressig in braunen Gläsern, Shaker-Antiquitäten, Kupferkessel, Stickmustertücher und -rahmen, Spinnräder, Zierdeckchen und Wandplaketten aus Porzellan mit Gebeten auf holländisch. Nirgendwo war auch nur eine einzige Sportzeitschrift oder eine Fernbedienung zu sehen. Nichts, das nicht an seinem Platz lag, ebensowenig wie auch nur ein einziges Staubkörnchen irgendwo. Joseph Leander war vermutlich auf Zehenspitzen gegangen, um in diesem Haus keinerlei Spuren zu hinterlassen. Ein Mann, der weniger sensibel gewesen wäre als Theo, hätte vermutlich behauptet, daß er ganz schön unterm Pantoffel stand.
    »Der Kerl steht ja ganz schön unterm Pantoffel«, sagte einer der Sanitäter. Sein Name war Vance McNally. Er war einundfünfzig Jahre alt, klein und muskulös, und er trug seine Haare genauso wie in seinen High-School-Tagen mit Öl zurückgeklatscht. Gelegentlich kam es vor, daß er in Erfüllung seiner Pflichten als Rettungssanitäter Menschenleben rettete, quasi als Ausgleich dafür, daß er sich ansonsten aufführte wie der letzte Trampel.
    »Vance, er hat gerade seine Frau aufgehängt im Eßzimmer gefunden«, erklärte Theo über die Köpfe der beiden Sanitäter hinweg. Er war einsfünfundneunzig groß, und dank dieser Tatsache konnte er auch in einem Flanellhemd und Turnschuhen einschüchternd wirken und, wenn es nötig war, sich den
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