Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lustmolch

Der Lustmolch

Titel: Der Lustmolch
Autoren: Christopher Moore
Vom Netzwerk:
gebührenden Respekt verschaffen.
    »Sie sieht aus wie Raggedy Ann«, sagte Mike, der andere Sanitäter, der Anfang Zwanzig und ganz aufgeregt über seinen ersten Einsatz bei einem Selbstmord war.
    »Ich hab gehört, sie wäre 'ne Amish«, sagte Vance.
    »Sie ist keine Amish«, erwiderte Theo.
    »Ich hab ja auch nicht gesagt, sie wäre 'ne Amish, ich hab gesagt, ich hätte so was mal gehört. Daß sie keine Amish war, ist mir aufgefallen, als ich den Mixer in der Küche gesehen habe. Die Amish glauben nicht an Mixer, oder?«
    »Mennonitin«, sagte Mike mit gerademal soviel Autorität, wie er sich angesichts seines jugendlichen Alters herausnehmen durfte.
    »Was sind denn Mennoniten?« fragte Vance
    »Amish mit Mixern.«
    »Sie war keine Amish«, erklärte Theo.
    »Sie sieht aber aus wie 'ne Amish«, sagte Vance.
    »Ihr Mann ist jedenfalls kein Amish«, sagte Mike.
    »Woher weißt du das?« fragte Vance. »Einen Bart hat er jedenfalls.«
    »Aber auch 'nen Reißverschluß an seiner Jacke«, sagte Mike. »Die Amish haben keine Reißverschlüsse.«
    Vance schüttelte den Kopf. »Typisch Mischehe. So was funktioniert nie.«
    »Sie war keine Amish!« brüllte Theo.
    »Du kannst meinetwegen glauben, was du willst, Theo, aber im Wohnzimmer steht ein Butterfaß. Und das sagt doch wohl alles.«
    Mike rieb an einer Stelle an der Wand unterhalb von Bess' Füßen, wo ihre schwarzen Schnallenschuhe entlanggeschrammt waren, als sie von den letzten Zuckungen geschüttelt worden war.
    »Faß nichts an«, sagte Theo.
    »Warum? Anbrüllen kann sie uns ja wohl nicht mehr. Sie ist tot. Und wir haben uns alle die Füße abgetreten, bevor wir reinkamen«, sagte Vance.
    Mike machte ein paar Schritte von der Wand weg. »Vielleicht hat es ihr einfach nicht gepaßt, wenn irgendwas ihren Boden berührt hat. Und da war Aufhängen die einzige Möglichkeit.«
    Um sich von seinem Schützling nicht den kriminalistischen Schneid abkaufen zu lassen, erwiderte Vance: »Allerdings öffnet sich bei einem Erhängten normalerweise der Schließmuskel - was aussieht wie 'n Saustall. Da frage ich mich natürlich, ob sie sich überhaupt aufgehängt hat.«
    »Sollten wir nicht die Polizei rufen?« fragte Mike.
    »Ich bin die Polizei«, erwiderte Theo. Er war der einzige Constable in Pine Cove, ordnungsgemäß gewählt vor acht Jahren und seitdem alle zwei Jahre in seinem Amt bestätigt.
    »Nein, ich meine die richtige Polizei«, erklärte Mike.
    »Ich rufe den Sheriff über Funk«, sagte Theo. »Ich denke nicht, daß es hier für euch noch groß was zu tun gibt. Aber ihr könnt Pastor Williams von der presbyterianischen Kirche Bescheid sagen, daß er herkommt. Ich muß mich mit Joseph unterhalten und brauche jemanden, der sich um die Mädchen kümmert.«
    »Presbyterianer waren sie?« Vance schien schockiert. Er hatte der Amish-Theorie mit einigem Herzblut angehangen.
    »Sagt ihm bitte Bescheid«, wiederholte Theo. Er ließ die Rettungssanitäter allein und ging durch die Küche hinaus zu seinem Volvo, wo er das Funkgerät auf die Frequenz des Sheriff s Department von San Junipero einstellte. Dann saß er da und starrte das Mikrophon an. Sheriff Burton würde ihm wegen dieser Sache hier den Kopf abreißen.
    »Die Nordküste ist Ihr Revier, Theo. Und zwar ausschließlich. Meine Deputies kassieren irgendwelche Verdächtigen, bearbeiten Überfälle und lassen die Highway Patrol sich um die Verkehrsunfälle auf dem Highway 1 kümmern. Das ist alles. Ansonsten halten Sie sie aus Pine Cove raus, und niemand erfährt was von Ihrem kleinen Geheimnis.« Theo war mittlerweile einundvierzig Jahre alt, und dennoch fühlte er sich wie ein Zehntklässler, der seinem Aufsichtslehrer bloß nicht auffallen will und sich tunlichst bedeckt hält. Vorfälle wie dieser hier hatten in Pine Cove nicht zu passieren. Denn in Pine Cove passierte nun mal nichts.
    Er genehmigte sich einen schnellen Zug an seiner rauchlosen Purpfeife Marke Sneaky Pete, bevor er das Mikrophon einschaltete und die Deputies kommen ließ.
    Joseph Leander saß auf der Bettkante. Er hatte in der Zwischenzeit seinen Pyjama aus- und einen blauen, geschäftsmäßigen Anzug angezogen, doch sein schütteres Haar stand an den Seiten noch immer in alle Richtungen ab. Er war fünfunddreißig, hatte sandfarbenes Haar und war dünn, obgleich ihm allmählich eine Wampe wuchs, über der sich die Knopfleiste seiner Anzugweste unübersehbar spannte. Theo saß, ein Notizbuch in der Hand, ihm gegenüber auf einem Stuhl. Ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher