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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner
Autoren: Stephen Fry
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Privaten ist ein Thema, das unserem Zeitalter entspricht, wie es jedem Zeitalter entspricht. Es läßt das Chaos herein und die Liebe hinaus.«
    »Oh, bravo!« rief Adrian. »Unvergeßlich formuliert, Shelagh.«
    Sie wurde vor Entzücken rot. »Gefällt es Ihnen, Dr. Healey?«
    »Aber ja! Es hat mir gefallen, als ich es zum ersten Mal las … puh, lassen Sie mich überlegen … muß jetzt bald zehn Jahre her sein … 1981, da bin ich ziemlich sicher … und es gefällt mir immer noch. Wenn überhaupt, ist es durchs Alter nur besser geworden. John Bayley,
Shakespeare and Tragedy
, verlegt, wenn ich mich nicht sehr täusche, bei Routledge and Kegan Paul.«
    »Oje«, das Mädchen wurde wieder rot, aber diesmal nicht vor Entzücken.
    »Zu unvergeßlich formuliert, fürchte ich, meine Liebe.«
    »Es ist folgendes …«
    »Ich
weiß
, daß Sie das sind … wahnsinnig beschäftigt.Aber glauben Sie mir, ich lausche viel lieber diesem guten Essay als dem schlechten, den Sie ohne Bayleys Hilfe ausgeheckt hätten. Alles o. k. Ich glaube, Sie werden es schaffen, sich einen durchschnittlichen Abschluß zu besorgen, ohne daß ich Sie alle zwei Wochen wegen eines Essays belästige, nicht wahr?«
    »Na ja …«
    »Natürlich werden Sie das!« Adrian stand auf und füllte Shelaghs Glas nach. »Noch etwas Malvasier für Sie?«
    »Danke.«
    »Eine rauchige, vulkanische Note, die nicht abschrecken kann. Sie spielen Theater, glaube ich?«
    »Ja … deswegen komme ich mit der Arbeit auch nicht nach.«
    »Ich weiß nicht, warum ich ›glaube ich‹ gesagt habe, ich habe Sie in einigen Inszenierungen gesehen. Meine Frau kommt übers Wochenende aus London rüber, Sie haben vielleicht von ihr gehört?«
    »Jenny de Woolf, die Regisseurin? Natürlich!«
    »Warum kommen Sie heute abend nicht einfach bei uns in Trumpington vorbei und sagen ihr guten Tag?«
    »Wirklich? Liebend gern.«
    »Abgemacht, meine Gute. Sagen wir sieben Uhr?«
    »Das würde mir passen. Danke!«
    Adrian sah anerkennend zu, wie das Mädchen ihre Tasche und ihren Schal auflas und sich zur Tür wandte. »Ach, übrigens, Shelagh …«
    Sie blieb fragend auf der Schwelle stehen.
    »Ich habe bemerkt«, sagte Adrian, »daß Sie Mitglied der humanistischen Gesellschaft der Universität sind.«
    Sie sah mit einem Anflug von Trotz und Argwohn zu ihm zurück.
    »Und?«
    »Sie nehmen das ernst?«
    »Sehr.«
    »Sie halten eventuell nicht viel von Religion?«
    »Ich verabscheue Religion.«
    »Ah, na, das ist ja interessant. Ich denke, ich werde heute abend auch den alten Trefusis einladen, der wird Ihnen bestimmt gefallen, und ich weiß, daß er Sie mögen wird. Wir arbeiten zur Zeit an einem … an einem Problem, das Sie interessieren könnte.«
    »Ach ja?«
    »Wie Ihnen wohl bekannt ist, sind die Neunziger von verschiedenen Funktionären aus den verrückteren Flügeln der christlichen Kirche zum ›Jahrzehnt der Verkündigung‹ ausgerufen worden.«
    Die Mundwinkel des Mädchens verzogen sich in komischem Ekel. »Erinnern Sie mich nicht daran.«
    »Wir haben entdeckt, daß sich hinter dieser schrägen und bemitleidenswerten Formulierung …« Adrian brach ab. »Egal. Den Rest erzähle ich Ihnen heute abend. Dryden House, Trumpington. Sie können’s gar nicht verfehlen.«
    Das Mädchen sah gespannt aus. »Gut. Dann bis dann, Dr. Healey. Äh … Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen, Shelagh. Ach, und Shelagh?«
    »Ja?«
    »Ich wüßte es zu schätzen, wenn Sie das im Augenblick noch für sich behalten. Sie werden sehen, warum.«
    Adrian schaute aus dem Fenster und sah, wie das Mädchen über den Rasen von Hawthorn Tree Court hüpfte. Er lächelte in sich hinein, als er sich an den Schreibtisch setzte und eine kurze Notiz auf ein Blatt Papier schrieb.
    »An Weißköpfiger Seeadler. Ingwer. Informell. Ich glaube, das Spiel geht los. Gruß Spottdrossel.«
    Adrian lehnte sich im Stuhl zurück, fütterte das Blatt in seinen Faxapparat und drückte eine Selbstwahltaste. Er sah zu, wie das Blatt durch die Maschine ruckte, bevor er sich wieder ans Fenster begab.
    Auf der anderen Seite des Court konnte er durch ein offenes Fenster im ersten Stock die Gestalt eines alten Mannes erkennen. Die Gestalt bückte sich einen Moment, hantierte mit etwas auf seinem Tisch herum und kam dann mit einem abgerissenen Blatt Papier wieder hoch. Sie drehte sich in Adrians Richtung, wedelte mit dem Papier wie ein Moriskentänzer, der mit einem Taschentuch winkt, und vollführte ein paar schnelle
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