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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner
Autoren: Stephen Fry
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und Martin Szabó auf sich herabstarren. Ihre Kehlen waren rein und ohne Narben, ihre braunen Augen rund vor Mitleid.
    »Sehr blaß, Helen. Ist das normal, daß er so blaß ist?«
    »War zu erwarten«, sagte die Stimme von Lady Helen Biffen.
    Adrian lächelte. »Danke, daß Sie mich hier willkommen heißen«, sagte er. »Ich wußte immer, daß der Tod nicht das Ende sein kann. Ich hoffe, wir werden die ganze Ewigkeit lang Freunde bleiben.«
    Er merkte mit aufflackerndem Ärger, daß seine Worte, obwohl er sie ganz deutlich geäußert hatte, nur in seinem Kopf erklungen waren. Weder hatten seine Lippen sich bewegt noch sein Kehlkopf vibriert. Vielleicht gab es hier oben eine besondere Technik, die er erst würde meisternmüssen, um kommunizieren zu können. Er sann dieser Möglichkeit eine Weile nach und erwog mit schläfriger Genugtuung die Aussicht auf die unendliche Zeit, die ihm jetzt zur Verfügung stand.
    Mit einigem Unbehagen erwachte Adrian aus seinen Träumen. Das Schlafzimmer kam ihm sehr bekannt vor. Den Toilettentisch am Fußende des Bettes hatte er kürzlich erst gesehen. Er stützte sich auf die Ellbogen, um einen besseren Blick zu bekommen, und schrie vor Schmerz auf, als ein scharfer Stich durch seinen Bauch zuckte. Aus dem Nebenzimmer eilten Schritte herbei. Als er ermattet zurücksank, kam ihm der Gedanke, daß er in derselben Suite des Hotels Österreichischer Hof lag, in dem Martin Szabó gewohnt hatte, daß er in demselben Bett lag, auf dem Martin Szabó gesessen hatte, als ihm die Kehle durchgeschnitten worden war.
    »Adrian, Sie sollten versuchen, sich nicht zu bewegen«, sagte Trefusis.
    »Nein«, sagte Adrian. »’tschuldigung.« Er schloß die Augen, um sich darauf zu konzentrieren, eine Frage zu formulieren, aber die Frage entglitt ihm, und er schlief ein.
    Als er kurz danach wieder zu sich kam, saß Trefusis an seinem Bett.
    »Morgen, Donald. Falls es Morgen ist.«
    »Ja«, sagte Trefusis. »Es ist Morgen.«
    »Dann lebe ich also?«
    »Ich glaube, davon können wir ausgehen.«
    »Welcher Tag ist heute?«
    »Mittwoch.«
    »Mittwoch. Wie lange habe ich hier gelegen?«
    »Nur ein paar Stunden.«
    »Mehr nicht?« Adrian war überrascht. »Dann haben sie die Kugel also entfernen können?«
    »Kugel? Es gab keine Kugel.«
    »Aber ich wurde doch angeschossen.«
    »Ja, wurden Sie, aber es gab keine Kugel.«
    Adrian dachte darüber nach.
    »Was tut mir dann weh?«
    »Sie haben etwas Blut verloren. Ich denke, Ihr Bauch wird eine Zeitlang wund sein. Das Pflaster des Verbandes kann Ihre Haut aufscheuern.«
    »Ich bin ziemlich hungrig.«
    »Rudi wird Ihnen etwas bringen.«
    »Prima«, sagte Adrian und schlief wieder ein.
     
    Zwei Tage später saß Adrian am Flügel in der Franz-Josef-Suite und bahnte sich einen Weg durch Beethovens Menuett in G-Dur. Vor ihm stand ein Teller mit Sandwiches und ein Glas Bier. Seine Koffer standen in der Mitte des Zimmers zusammen, um zur Rezeption hinuntergebracht zu werden. Er hatte sich absolut gesund genug gefühlt, um Donald bei der langen Heimfahrt mit dem Wolseley Gesellschaft zu leisten, aber Trefusis hatte darauf bestanden, daß er flog.
    Adrians Bauch heilte zusehends, die verschorften kleinen Hautausschläge, wo die eingebettete Watte mit der Pinzette entfernt worden war, waren mit sauberen Mullbinden bedeckt worden, und er konnte die lange, weiche Zunge des Jodverbandes an seiner linken Seite berühren, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken. Er schloß den Deckel des Flügels und streckte sich. Es war ein umgänglicher Schmerz, sauber und scharf wie Pilsner; ein besserer Schmerz als die bleiern niederdrückenden Folterqualender Schuld, die er mit sich herumgetragen hatte, seit er sich erinnern konnte.
    Es klopfte herzhaft an der Tür, und herein kam Simon Hesketh-Harvey, gefolgt von einem strahlenden Dickon.
    »Grüß Gott«, sagte Adrian.
    »Und wie geht’s unserm Burschen?«
    »Dem Burschen geht’s gut, danke, Dickon«, sagte Adrian. »Und er freut sich schon darauf, nach Hause zu kommen.«
    »Das ist die richtige Einstellung«, sagte Simon.
    »Ja«, sagte Adrian und zog seinen Flugticketumschlag aus der Jackentasche, »und ausgestellt ist es auch schon.«
     
    Im Oberstübchen des Shoulder of Lamb war eine lange Tafel gedeckt worden. Nigel, der Barkeeper, servierte Suppe unter dem wachsamen Auge Bobs, des Wirts. Trefusis saß am einen Ende, mit Adrian zu seiner Linken und Lady Helen Biffen zu seiner Rechten. Martin und Stefan Szabó, Humphrey Biffen, Dickon
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