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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner
Autoren: Stephen Fry
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davon irgendwann Wind bekommen würde. Ein alter Fuchs wie Donald muß einfach erwarten, daß seine Post geöffnet wird. Allerdings erwartete er nie, daß einer seiner eigenen Studenten angesetzt werden könnte, um ihn auszuspionieren. Das war ein ungeheurer Pluspunkt.«
    »Also, hören Sie«, sagte Adrian. »David ist doch mein Onkel. Blut ist schließlich dicker als Wasser.«
    »Nicht dicker als Freundschaft, hatte ich gehofft«, sagte Trefusis. »Aber genug! Kein Vorwürfe. Sie haben hervorragend gehandelt.«
    Bob, der Wirt, beugte sich vor und zwinkerte mit den Augen. »Ich hatte eine echt große Kanone, die hinter dem Vorhang die ganze Zeit auf Sir David zeigte, Master Adrian, Sir.«
    »Na, das hätten Sir mir schließlich sagen können«, sagte Adrian. Eine Welle der Müdigkeit überrollte ihn, und er gähnte gewaltig, was seine Bauchmuskeln anspannte und die Wunde wieder ins Bewußtsein rief.
    Humphrey Biffen mußte das kurze Zucken des Schmerzes in Adrians Gesicht bemerkt haben, denn er war sofort auf den Beinen. »Sie sind noch geschwächt, Adrian. Einer von uns sollte Sie nach St. Matthew’s zurückbringen.«
    Adrian stand so gerade auf, wie er konnte. »Schon in Ordnung«, sagte er. »Der Spaziergang wird mir den Kopf frei machen.«
    In den langen Ferien machte Cambridge einen verlorenen, leicht verlegenen Eindruck, wie ein leeres Theater. Es war ein warmer Abend. Adrian sah zur Kapelle von St. John’s College hoch und zu den Sternen dahinter. Die linde Sommerluft erfrischte ihn. Vielleicht sollte er doch nicht direkt nach Hause und ins Bett gehen. Er mußte über vieles nachdenken. In seiner Tasche steckte ein Brief von Jenny. Bei seiner Rückkehr von Gatwick am Nachmittag hatte er in seinem Postfach in St. Matthew’s auf ihn gewartet. Anscheinend hatte sie einen Job als Regieassistentin in Stratford bekommen. Adrian überquerte die Straße, setzte sich auf die niedrige Steinmauer gegenüber dem Pub und zündete sich eine Zigarette an. Er fand, der Brief ließ sich sowohl als Lebewohl als auch als Bitte um seine Rückkehr lesen.
    »Ich weiß nicht, ob Du schon erwachsen geworden bist oder nicht. Welche Fantasiewelt bewohnen Männer bloß? Ich kann weder dem kaltschnäuzigen Realismus noch dem hartherzigen Zynismus viel abgewinnen, aber warum mußt Du ewig aufs Klischee zurückfallen? Bist Du bereits endgültig zum ›Feind des Talents‹ geworden? Ich hab’s neulich noch einmal gelesen. Wie lautet dieser Schlußsatz über alle Engländer … daß sie ›feige, sentimental und letzten Endes homosexuell‹ werden? Das wurde vor fünfzig Jahren geschrieben. Herrgott noch mal! Das kann doch nicht immer noch wahr sein, oder – nach einem Weltkrieg, einer sozialen Revolution, Rock and Roll und was noch allem?
    Letztes Jahr war ich in Dich verliebt. Ich hielt uns überall für das bemerkenswerteste Paar. All meine Freundinnendachten, ich hätte es zu was gebracht, eine furchtbare Phrase, ich weiß, aber Du weißt, wie ich’s meine. Ich denke, Du glaubst nicht ganz, daß Frauen existieren. Für Dich sind sie eine Art schwieriger Jungen mit zusätzlichem Fleisch an einigen Stellen und fehlendem an anderen. Ich weiß nicht einmal, ob Du meine Gesellschaft je genossen hast, aber ich weiß natürlich auch nicht, ob Du irgend jemandes Gesellschaft je genossen hast, Deine eigene eingeschlossen. Ich weiß, daß du Laienpsychologie haßt, aber da hast Du’s.
    ›Aus kleinen Mädchen werden Frauen, aus kleinen Jungen kleine Jungen.‹ Ich fasse es einfach nicht, daß unsere Generation erwachsen wird, nur um die ganzen dämlichen Stereotypen erneut zu erfüllen. Ich werde also zur Erdmutter, und Du lümmelst dich vor dem Fernseher herum und siehst Kricket und Clint, ja? Warum dann die jahrelange Erziehung?
    Warum überhaupt eine Jugend? Warum Bücher lesen und versuchen, die Dinge zu verstehen, wenn am Ende alles beim alten bleibt?
    Für Dich und Deinesgleichen erlangen Jugend und Erziehung diese großartig mystische, mythische Qualität. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens sind ein offenes Buch, Schule und Elternhaus, Elternhaus und Schule, hier ein paar Freundinnen, da ein paar Freunde. Für Dich sind sie das Bühnenbild einer riesigen Fantasiewelt, zu der Du unbegrenzt zurückkehren mußt. ›Liebstes Wesen, Du verstehst nicht …‹, höre ich Dich sagen, wie Generationen von Männern immer schon ihre Frauen vollgequengelt haben. Aber darum geht es gerade! Ich verstehe nicht. Und Du könntest mich auch nie
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