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Der Lüge schöner Schein

Der Lüge schöner Schein

Titel: Der Lüge schöner Schein
Autoren: Reginald Hill
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immer das war (oder musste es »ist« heißen?). Der Versuch, den Eingang mit einer Kletterrose zu umranken, war kein durchschlagender Erfolg gewesen. Über dem Strohdach reckten sich Fernsehantennen vielarmig in der Morgenbrise und kündeten, kühl bis ans metall’ne Herz, vom Triumph der Gegenwart über die Anmut längst vergangener Tage.
    »Colin hat da überhaupt keine Skrupel«, sagte Ellie, deren Blick dem seinen gefolgt war. »Wenn schon modernisieren, dann richtig. Er hält nicht viel davon, so zu tun, als ob ein Gespann von Bauernkaten im 16. Jahrhundert mal ein repräsentativer Wohnsitz gewesen wäre.«
    »Und vom bäuerlichen Ideal der goldnen Morgenstund’ offensichtlich auch nicht.« Pascoe hämmerte noch einmal gegen die Tür und rüttelte an dem abgenutzten Messinggriff.
    »Obwohl sie vielleicht«, fügte er sinnend hinzu, »gewisse ländliche Sitten und Gebräuche noch pflegen, wie zum Beispiel, nicht abzuschließen.«
    Er presste den Griff ganz hinunter und drückte gegen die Tür. Die Scharniere quietschten ermutigend und langsam öffnete sich die schwere Eichentür.
    Nun war es Ellie, die sich zierte.
    »Wir können sie doch nicht einfach aus dem Bett schmeißen.« Nur zögernd folgte sie ihm.
    »Also ich werde mir sicher nicht erst einen Durchsuchungsbefehl holen«, erwiderte Pascoe. »Wir können ja schon mal das nötige Zubehör zusammentragen, um Kaffee und einen Riesenspektakel zu machen. Also, komm!«
    Die Eingangstür führte direkt in ein wohlproportioniertes Wohnzimmer mit Möbeln, die, obwohl offenbar recht bequem, eher antiquiert als antik waren. Ein paar Whiskygläser standen auf einem Couchtisch in der Mitte des Raums, sie waren noch halb voll. Eine leere Flasche Teacher’s stand daneben. Eine Zigarre à la Churchill war in einem großen Kristallaschenbecher ausgegangen. Ellie schnupperte angewidert.
    »Wie das hier mieft! Ich hatte recht – bei denen ist es gestern Abend anscheinend ganz schön rundgegangen.«
    Sie machte sich daran, die Vorhänge aufzuziehen, um dann ein Fenster zu öffnen.
    Auch Pascoe schnupperte. Verwunderung malte sich auf seinem Gesicht. Er ging zu der Tür am anderen Ende des Zimmers. Sie stand einen Spaltbreit offen. Er stieß sie ganz auf und trat in den angrenzenden Raum, unverkennbar das Esszimmer. Auf dem runden, spiegelblanken Mahagonitisch standen noch die Überreste einer Mahlzeit.
    Doch nicht der Tisch fesselte Pascoes Aufmerksamkeit.
    Kreidebleich wandte er sich zu Ellie um. Er wollte sie daran hindern, ihm zu folgen.
    Sie stand am hinteren Fenster und öffnete dort gerade die Vorhänge.
    »Ellie«, sagte er.
    Wie versteinert war sie stehen geblieben. Die Hände am Fensterriegel, starrte sie ungläubig durch die Scheibe.
    Ein verhaltener Aufschrei entrang sich ihrer Kehle.
    Auf dem Boden des Esszimmers lagen zwei Männer, in der Stellung, die aus Polizeifoto A1 zu ersehen ist. Beide hatten schwere Schusswunden erlitten und stark geblutet. Die Art der Wunden und der starke Korditgeruch, der mir aufgefallen war, ließen darauf schließen, dass die Wunden von einer aus nächster Nähe abgefeuerten Schrotflinte stammten. Den neben dem Esstisch liegenden Mann (Position X auf dem Foto) identifizierte ich als Timothy Mansfield aus London, NW 2, Grover Court. Den anderen Mann konnte ich nicht sofort erkennen, weil hauptsächlich Hals und unterer Teil des Gesichtes getroffen worden waren. Später jedoch konnte ich mit Sicherheit sagen, dass es sich um Charles Rushworth handelte, wohnhaft an derselben Adresse. Ich wollte Miss Soper daran hindern, mir ins Esszimmer zu folgen, doch offensichtlich hatte sie etwas verstört, was sie vom hinteren Fenster sehen konnte. Ich schaute hinaus in den Garten hinter dem Haus und sah am Fuß der Sonnenuhr in der Mitte des Rasens (Foto C3) eine auf dem Boden liegende Frauengestalt. Vom Fenster aus konnte ich sie nicht erkennen, weil sie mit dem Gesicht im Gras lag. Sie hatte stark am Kopf geblutet.
    »Das ist Rose«, sagte Ellie, ohne es wirklich zu glauben. »Da ist was passiert.«
    Sie wollte ins Esszimmer, in der Hoffnung, von dort in den Garten zu gelangen. Pascoe packte sie an den Schultern.
    »Telefon«, sagte er leise, während seine Gedanken sich überschlugen. Vom Esszimmer führte eine enge Treppe in den ersten Stock. Angestrengt lauschte er, ob von oben nicht irgend etwas zu hören war.
    »Ja«, antwortete Ellie. »Einen Arzt. Nein, lieber einen Krankenwagen, da war doch ein Krankenhausschild, erinnerst du
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