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Der Lüge schöner Schein

Der Lüge schöner Schein

Titel: Der Lüge schöner Schein
Autoren: Reginald Hill
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weiß nicht, ob noch jemand eingeladen war.
    Wir wollten um halb zehn da sein, kamen aber so schnell voran, dass uns klar war, wir würden bereits um neun eintreffen …
    Es war ein herrlicher Morgen, nachdem es die Nacht über in Strömen geregnet hatte. Feiner Nebel lag wie ein Schleier über Wald und Feld, löste sich aber unter dem sanften Drängen der aufgehenden Sonne willig auf. Anfangs waren die Straßen noch leer. Selbst die Bauernhäuser, die doch den jungen Morgen immer als Erste begrüßten, schliefen anscheinend noch zwischen den nassglänzenden Feldern.
    »Das ist schön«, sagte Ellie und schmiegte sich zufrieden in den bequem eingesessenen Beifahrersitz des alten Riley. »Es gibt Dinge, für die man sich gern wecken lässt.«
    Pascoe lachte.
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte er mit unterdrückter Leidenschaft.
    »Du bist sexbesessen«, antwortete sie.
    »Überhaupt nicht. Ich kann bis zum nächsten Parkplatz warten.«
    Ellie schloss lächelnd die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war eine Stunde vergangen und sie lehnte mit ihrem ganzen Gewicht an der Schulter ihres Reisegefährten.
    »Entschuldige«, sagte sie und setzte sich gerade.
    »Es geht eben nichts übers Frühaufstehen. Wir liegen übrigens gut in der Zeit. Bist du sicher, dass sie uns schon zum Frühstück dahaben wollen?«
    »Absolut. Als ich mit Rose telefoniert hab, war sie ganz schön sauer, dass wir gestern Abend in letzter Minute absagen mussten. Wir sollten unbedingt ganz früh kommen. Die Arme – hatte wahrscheinlich schon das Mastkalb auf dem Rost oder so was.«
    »Bestimmt. Tut mir leid. Es war eine Schande.«
    Ellie machte aus ihrer Empörung kein Hehl.
    »Schande? Dieser sadistische Fettsack Dalziel weiß ja nicht einmal, was das heißt.«
    »Es war nicht seine Schuld. Es ist diese Einbruchsserie, bei der wir jetzt eingeschaltet wurden. Das Telefon hat geklingelt, als ich gerade gehen wollte.«
    »Pech aber auch«, brummte Ellie. »Total idiotische Zeit für einen Einbruch. Ich wette, Dalziel war’s.«
    »Der Einbruch ist schon Anfang der Woche passiert«, erklärte Pascoe geduldig. »Die Leute haben ihn erst gestern entdeckt, als sie aus dem Urlaub zurückkamen.«
    »Geschieht ihnen recht. Was müssen die auch so früh nach Hause kommen? Wären sie übers Wochenende geblieben, hätten wir unseres auch in voller Länge genießen können.«
    »Ich hoffe, das werden wir trotzdem«, gab Pascoe mit einem zärtlichen Lächeln zurück. »Es wird uns gut tun, alle wiederzusehen.«
    »Glaub ich auch. Besonders dir«, sagte Ellie nachdenklich. »Du warst lang genug von allem abgeschnitten.«
    »Ja, vielleicht. An mir hat’s aber nicht gelegen. Auf jeden Fall ist ›abgeschnitten‹ nicht das richtige Wort. Sie waren ja immer da. Wie gut angelegtes Kapital! Ich hab nie daran gezweifelt, dass ich sie alle einmal wiedersehe.«
    »Bei mir war ein Unfall nötig, um mich wieder ans Tageslicht zu befördern«, erwiderte Ellie mit leisem Tadel.
    »Es gibt halt eine Macht, die unsere Zwecke formt, wie wir sie auch entwerfen«, verkündete Pascoe feierlich. »Colin ist nicht der Einzige, der mit Zitaten um sich werfen kann.«
    »Hoch soll sie leben«, sagte Ellie und räkelte sich in der Wärme der Sonne, die nun unangefochten durch das Fenster schien.
    Wir erreichten Thornton Lacey um 8.50 Uhr. Das weiß ich so genau, weil ich auf die Uhr schaute, um zu sehen, ob wir die Zeit eingehalten hatten, mit der wir gerechnet hatten. Ich meinte, wir sollten vielleicht noch eine halbe Stunde warten, bis wir zum Brookside Cottage fuhren. Miss Soper und ich entschieden uns aber dann doch dagegen. Es muss also zwei, drei Minuten vor neun gewesen sein, als wir hinkamen. Alle Vorhänge waren zugezogen und niemand reagierte auf unser Klopfen.
    »Wir hätten doch warten sollen«, sagte Pascoe oberlehrerhaft.
    »Blödsinn. Wenn die gestern so sturzbesoffen waren, dass sie das Klopfen nicht hören, dann sind sie um halb zehn auch noch nicht ansprechbar.«
    Sein Berufsethos reklamierte zwar einen Verstoß gegen Logik oder Syntax dieser Behauptung, aber dieses Wochenende war er ganz entschieden und ganz bewusst außer Dienst. Also grinste er sich eins, trat einen Schritt vom Eingang zurück und verrenkte sich fast den Hals, um hinter den Schlafzimmervorhängen irgendwelche Anzeichen von Leben zu erspähen.
    Es war ein bezauberndes Häuschen, hart an der Grenze zum Kitsch. Tudor, sagte er sich, Fachwerk, dazwischen zweifellos Flechtwerk mit Lehmschlag, was
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