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Der Lüge schöner Schein

Der Lüge schöner Schein

Titel: Der Lüge schöner Schein
Autoren: Reginald Hill
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Haus durch die offen stehende Terrassentür zu betreten.
    Doch er konnte sie nicht mehr daran hindern zu sehen, was drinnen lag.
     
    Das Polizeirevier in Thornton Lacey war eigentlich der zur Straße gelegene Teil des Erdgeschosses jenes hübschen frei stehenden Hauses, in dem Constable John Crowther und seine Frau wohnten. Nur sehr widerwillig würden sie es räumen, wenn Crowther in zwei, drei Jahren in Rente ginge. Weder er noch seine Frau ließen sich besonders davon beeindrucken, dass ein Kapitalverbrechen in ihrem verträumten Nest geschehen war. Für den Constable bedeutete es nichts als Ärger. So spät in seiner Berufslaufbahn konnte es ihm zu keiner Beförderung mehr verhelfen, selbst wenn er den Fall persönlich lösen und den Verbrecher verhaften würde. Aber er war ein gewissenhafter Mann und bereitete für den Superintendent schon unaufgefordert eine Zusammenfassung sämtlicher Informationen aus dem Dorf vor, die er für relevant hielt.
    Mrs. Crowther, eine kantige Frau, deren Äußeres in krassem Gegensatz zu ihrer Warmherzigkeit stand, warf einen Blick auf Ellie, als sie auf dem Revier erschien, und brachte sie in die Küche, um ihr Tee und Mitgefühl zu verabreichen. Ellies Zustand hatte sich während dieser Therapie zusehends verschlechtert (ein notwendiger Prozess, den Mrs. Crowther wohl verstand), und als Pascoe sich endlich von Backhouse losmachen konnte, hatte der Arzt ihr schon ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben und sie in einem der Schlafzimmer untergebracht.
    Dr. Hardisty, ein langgliedriger Mann mittleren Alters, der mit seinem widerspenstigen grauen Haar den Eindruck immerwährender Verstörtheit erweckte, kam Pascoe an der Küchentür entgegen. Sie waren sich bereits im Brookside Cottage begegnet.
    »Geht’s halbwegs?«, fragte er zaghaft.
    »Ja, sicher«, antwortete Pascoe.
    Und es war nicht einmal richtig gelogen. Das Unterzeichnen der ganz und gar sachlich formulierten Aussage hatte eine vorübergehende Katharsis bewirkt. Im Moment waren die Entdeckungen des Morgens zu einem »Fall« geschrumpft. Er fühlte sogar den Impuls in sich aufsteigen, den Arzt über die Ergebnisse seiner Untersuchung der Leichen zu befragen, folgte ihm aber dann doch nicht. Hardisty war der Dorfarzt, wohnte und praktizierte hier. Mittlerweile waren die Leichen sicher schon auf dem Weg ins Leichenschauhaus, unter das forschende Messer des Gerichtsmediziners.
    Mittlerweile waren Timmy und Carlo und Rose sicher schon auf dem Weg …
    Entschlossen verdrängte er diesen Gedanken.
    »Miss Soper«, fragte er. »Wie geht’s ihr?«
    »Ruht sich oben aus. Ich habe ihr was gegeben.«
    »Darf ich zu ihr?«
    »Wenn sie wach ist. An der Treppe geradeaus.«
    Pascoe wandte sich um und ging hinauf.
    Ellie öffnete die Augen, als er zur Tür hereinkam. Ihr Kleid war sorgfältig über einen Stuhl gelegt, und sie lag im Slip unter einer Patchwork-Decke.
    »Wie geht’s dir denn?«, fragte Pascoe und nahm ihre Hand.
    »Bin vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln«, sagte sie. »Ich will nicht schlafen. Sich nach dem Aufwachen dran zu erinnern, ist noch schlimmer.«
    »Du musst aber schlafen«, sagte er zärtlich. Sie so blass hier liegen zu sehen, erschütterte ihn beinahe so wie der Fund der Leichen.
    Sie nickte, als habe er eine Meisterleistung subtiler Überredungskunst vollbracht, und schloss die Augen. Aber als er die Tür öffnete, um zu gehen, sprach sie wieder.
    »Peter, wo ist Colin? Man muss es ihm sagen.«
    »Mach dir keine Gedanken«, beruhigte er sie. »Schlaf jetzt.«
    Auf der Treppe überkam ihn ein Schwindelgefühl. Er musste stehen bleiben, und lehnte sich schwer ans Geländer.
Sie
musste sich bestimmt keine Gedanken darüber machen, wo Colin war. Das besorgte schon jemand anders, dessen Beweggründe allerdings keineswegs von Mitgefühl bestimmt waren.
    »Geht’s, Sergeant?«, fragte Backhouse vom Fuß der Treppe. In seiner Frage lag mehr Anteilnahme als in der des Arztes.
    »Ja, Sir«, erwiderte Pascoe und kam herunter.
    »Schläft Miss Soper?«
    »Ich glaube schon.«
    Backhouse sah ihn prüfend an, sein schmales Gelehrtengesicht spiegelte Besorgnis wider.
    »Ich fahre zurück zum Cottage. Die von der Spurensicherung müssten jetzt fertig sein. Wären Sie in der Lage, mich zu begleiten? Ich wäre für Ihre Mithilfe sehr dankbar.«
    Bei dieser etwas förmlichen Floskel huschte unwillkürlich der Schatten eines Lächelns über Pascoes Lippen. Sein eigener Vorgesetzter, Dalziel, der Fettsack, hatte diesen Teil
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