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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel
Autoren: Chris Morgan Jones
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wer wen bestach. Er fragte sich, ob ihre Akte noch existierte, auf einem nummerierten Regal in irgendeinem dunklen Keller, und ob irgendjemand immer noch Grund hatte, darauf zuzugreifen.
    Die beiden Spravki , die nun vor Webster lagen, zeichneten weniger interessante, weniger produktive Lebensläufe nach. Sie waren gefaxt und schlecht übersetzt, verrieten nicht, aus welcher Quelle sie stammten, und entsprachen vollkommen dem gängigen Muster. Locks Akte zeigte einen wenig bemerkenswerten in Russland lebenden Ausländer, Malins einen Karrierebürokraten. Sein Vater war Leiter einer Firma für Bergbaumaschinen in Nowosibirsk gewesen und hatte zwei
Kinder gehabt: Konstantin, geboren 1948, und Natalja, geboren 1952. Malin hatte 1971 Katerina Karelov geheiratet, die beiden hatten zwei Kinder. Offiziell bewohnten sie ein Dreißig-Quadratmeter-Apartment in der Nähe des Leningrader Bahnhofs in Moskau, doch es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich jemals dort aufhielten; die tatsächliche Wohnung der Malins war ganz sicher eine deutlich noblere Angelegenheit.
    Er hatte das Industrie-Institut in Tjumen besucht und später die staatliche Gubkin-Universität für Erdöl und Gas in Moskau. Seit 1971 arbeitete er in dem Ministerium, das inzwischen »Ministerium für natürliche Ressourcen« hieß, die Akte sagte nicht, welche Funktion er dort ausübte. Er war schon sehr lange dabei.
    Es ging noch weiter. Malin sei ein Mann von »großer innerer Disziplin«, der durch »Loyalität und klare Ziele« in eine Position von »absolutem Vertrauen und positivem Einfluss« innerhalb des Ministeriums aufgestiegen sei. Sein Beitrag werde »auf höchster Ebene« geschätzt und habe dazu geführt, dass er 2003 den Verdienstorden des Vaterlands verliehen bekam. Er sei ein Mann mit »wahren Prinzipien«, und dies habe ihm eine Karriere »frei von den Flügelkämpfen politischer Fraktionen« ermöglicht.
    Das war einerseits aufschlussreich – eine derart saubere Akte verriet Webster, dass Malin sich gut schützte – und zugleich nutzlos, sogar ein wenig entmutigend. Tournas Auftrag war von geradezu wahnhafter Schlichtheit und vermutlich unmöglich zu erfüllen, äußerst gefährlich ohnehin. Er würde etwas deutlich Stärkeres brauchen als eine Geheimdienstakte, die Malin vermutlich selbst abgesegnet hatte.
    Er blätterte weiter durch das Quellenmaterial, bis er am
Ende des Berichts die Zusammenfassung fand. Wie es aussah, war Langland Resources Malins Ölhandelsfirma, die ihren Sitz in Wien hatte. Ein gewisser Dmitri Gerstman hatte sie geleitet, war allerdings vor drei Jahren gegangen und durch einen anderen Russen, Nikolaj Gratschow, ersetzt worden. Von beiden lagen Profile bei, ebenso eine Beschreibung von Langland, das etwa zwanzig Leute beschäftigte und russisches Öl in Märkte auf der ganzen Welt verkaufte.
    Webster übersprang einen langen Absatz über Malins Herkunft, der mehr oder weniger wörtlich den Inhalt der Spravka wiedergab. Der nächste Abschnitt war interessanter:

    Nach Einschätzung von Experten ist Langlands Gewinnspanne unnatürlich hoch, weil es mit seinen russischen Lieferanten Verrechnungspreis-Missbrauch betreibt. Die Produzenten verkaufen Langland Öl zu vergünstigten Konditionen, und Langland verkauft dieses Öl zu normalen Preisen an seine Kunden. Die Differenz steckt Langland ein. Alle Verluste bleiben an den jeweiligen staatlichen Lieferanten und damit letztlich am russischen Staat selbst hängen.
    Russischen Geheimdiensten nahestehende Kreise deuten an, dass die Gewinne von Langland über eine Reihe von Offshore-Unternehmen und Fonds und letztendlich durch ein weiteres von Malin kontrolliertes Unternehmen namens Faringdon Holdings Ltd zurück nach Russland geschleust werden. Faringdon ist ein Irisches Offshore-Unternehmen … das Anteilsmehrheiten einer Reihe von Öl und Gas fördernden Unternehmen in Russland und Kasachstan besitzt. Gründer und Manager von Faringdon ist Medienberichten
zufolge Richard Lock, ein Anwalt holländischer Herkunft, der in England approbiert ist. Lock lebt seit 1993 in Moskau und arbeitet angeblich ausschließlich für Malin.

    Nicht schlecht so weit, dachte Webster. Ein guter Anfang.
    Ganz am Ende der Akte fand er einen Ausschnitt aus einer Zeitschrift, sauber gefaltet und in einer Klarsichthülle. Er zeigte eine Gruppe russischer Honoratioren, vielleicht ein Dutzend, die für ein Foto posierten. Malin stand in der ersten Reihe, der dritte von links. Webster starrte das
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