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Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Titel: Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
Autoren: Erin Quinn
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schluckte Danni hart. Das Grab war ein Unheil verkündendes Symbol in dieser Vision. Oder war es real? Der schlammige Boden zu ihren Füßen schien sie geradezu zu rufen und sie mit dem Versprechen süßer, unwiderstehlicher Belohnungen zu sich heranzulocken.
    Danni beugte sich langsam vor und blickte in das Loch. Zwei Leichen lagen auf dem Boden, als wären sie achtlos dort hineingeworfen worden. Der eine war ein halbwüchsiger Junge, und Danni glaubte, sich dunkel zu erinnern, dass er der Leichnam war, den sie schon in der Höhle gesehen hatte. Er war schlaksig und flachbrüstig, seine Beine lagen in einer unnatürlich abgespreizten Haltung unter ihm, und sein Gesicht war abgewandt. Neben ihm befand sich die Leiche einer Frau, die Leggings und ein viel zu großes T-Shirt trug - ein Outfit, wie es in den Achtzigerjahren modern gewesen war. Ihr langes goldbraunes Haar lag über ihren Schultern und der Brust des Jungen. Die eine Hälfte ihres Gesichts war nicht zu sehen, doch die andere ...
    Danni schrak entsetzt zurück vor dem, was ihr Verstand nicht anerkennen wollte, ihre Augen ihr jedoch als Wahrheit offenbarten. Wieder einmal stand sie vor sich selbst, nur sah sie diesmal nicht das kleine Mädchen, sondern die Frau, die sie inzwischen war. Denn der andere Leichnam in dem Grab war Dannis.
    Nein, nein, nein! Das ist unmöglich ...
    Der Mann neben ihr starrte einen weiteren gedankenvollen Moment in das Grab, und dann blickte er zu der fernen, aufgewühlten See hinaus. Danni konnte spüren, wie sein Zorn und Kummer wuchsen und sich vermischten, bis sie in ihm brannten wie der ihnen ins Gesicht peitschende Wind. Sie konnte fühlen, wie ihn die Macht dieses Gefühls verzehrte und ihn an einen Punkt herantrieb, der ebenso gefährlich war wie das ins Meer herabstürzende Kliff.
    Dann richtete er diese verzweifelten Augen plötzlich auf sie und streckte die Hand aus, als würde ihm gerade zum ersten Mal bewusst, dass er sie vielleicht berühren konnte. Und in einer Mischung aus Furcht und Erwartung wartete Danni auf den Kontakt.
    Erscheinungen konnten nichts berühren, nichts verspüren ...
    Als der Fremde ihr dann aber mit dem Handrücken über die Wange strich, war ihre kalte Haut wie elektrisiert von seiner Wärme. Verwundert starrte sie ihn an und sah in dem schimmernden Silber und Grün seiner Augen ihr eigenes Erstaunen reflektiert.
    Dann berührte er sie abermals, indem er seine Hand unter ihr Kinn legte ... und schließlich sogar mit beiden Händen ihr Gesicht umfasste. Mit seinen ein wenig rauen, warmen und unbestreitbar realen Händen. Verwundert starrte Danni ihn an und hielt den Atem an, als sein Blick zu ihrem Mund hinunterglitt.
    Wie von selbst bewegten sich ihre Hände zu seiner breiten Brust, legten sich auf die ausgeprägten Muskeln dort und nahmen ihre Bewegung unter seinem tiefen Atemzug und das schnelle Schlagen seines Herzens unter ihren Fingern wahr. Dannis Furcht verlor sich in der jähen Hitze, die ihr Innerstes in Flammen setzte und eine schier unerträgliche Sehnsucht in ihr weckte. Sie wartete, als der Mann den Kopf senkte und seine Lippen noch näher an die ihren brachte. Aber die Luft veränderte sich schon - das konnte Danni deutlich spüren. Während seine Lippen ihren noch ganz nahe waren und sein Atem wie ein heißes, verführerisches Wispern, das sie nicht wirklich verstehen konnte, über ihre Haut strich, begann er bereits zu verblassen.
    Danni versuchte, ihn aufzuhalten, versuchte sogar, die Luft daran zu hindern, ihr den Fremden wegzunehmen. Doch der Mann, das Grab, der stahlgraue Himmel ... sie alle lösten sich innerhalb von Sekunden zu einem nur leicht über der Erde dahintreibenden Nebel auf - unter dem Dannis Küche auf ihre Heimkehr wartete.
    Mit einem jähen, unangenehm scharfen Ruck wurde sie dorthin zurückversetzt, wo alles angefangen hatte. Kraftlos sank sie gegen die Anrichte und atmete in großen Zügen die erfreulich warme Luft in ihrer Küche ein. Ihre Tasse stand noch dort, wo sie sie zurückgelassen hatte, der Kaffee war nicht einmal abgekühlt, obwohl Stunden vergangen zu sein schienen. Und da Danni weder das Zittern in ihren Beinen unterbinden noch ihr wild pochendes Herz beruhigen konnte, ließ sie sich auf den kalten Kachelboden sinken und rollte sich zusammen wie ein kleines Kind.
    Sie verstand nicht, was die Vision bedeutete, wer der Mann darin war, warum sie ihn gesehen hatte oder warum er ihr die Mutter gezeigt hatte, an die sie sich fast nicht mehr erinnerte.
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