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Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Titel: Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
Autoren: Erin Quinn
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anderer Seite sie im Schein einer Laterne Menschen stehen sah. Das gedämpfte Licht, das auf makabre Weise ihre Gesichtszüge verzerrte, ließ sie aussehen, als trügen sie Masken. Eine Frau und zwei Kinder standen dicht beieinander, während ein Mann noch gerade innerhalb des Lichtscheins auf dem Boden kniete und etwas in den Armen hielt, das Danni nicht erkennen konnte.
    Sie wollte näher herangehen, um die Gesichter der Leute zu sehen, aber irgendetwas veranlasste sie, neben dem Fremden zu verharren und reglos die sich vor ihren Augen abspielende Szene zu verfolgen.
    Die Kinder, die sie weinen gehört hatte, klammerten sich jetzt an die Beine der Frau, als wollten sie buchstäblich mit ihr verschmelzen. Die beiden waren ein Junge und ein Mädchen, deren Alter Danni auf vier oder fünf schätzte. Die Frau sagte wieder etwas mit dieser schrillen, furchtsamen Stimme, und jemand, der in der Dunkelheit um sie herum nicht zu erkennen war, antwortete. Die Stimme war tief und definitiv männlich, aber Danni konnte ihren Besitzer weder sehen noch verstehen, was er sagte.
    Der Mann, dem Danni aus ihrer Küche in diese ... andere Realität gefolgt war, ging jetzt langsam auf die Frau zu. Als er sie erreicht hatte, blickte er sich zu Danni um - und hob die Jacke und Bluse der Frau an, unter denen die leichte Wölbung einer frühen Schwangerschaft zu sehen war ... und Prellungen! Große, dunkle Prellungen an ihren Rippen und an ihrem Bauch, eine schaurige Mischung aus schwarzen, blauen, gelben und scheußlich grünen Flecken. Alte und neue Spuren, die einander überlagerten.
    Erschrocken fuhr die Frau mit großen, furchtsamen Augen herum und blickte zu der Stelle hinüber, wo Danni für einen langen, atemlosen Moment wie vom Donner gerührt stand. Sie konnte den Blick der Frau ganz deutlich spüren, als er ihr Gesicht berührte.
    Sie kann mich sehen ...
    Aber das war unmöglich, da sie ja nicht wirklich dort war. Keiner von ihnen war es. Das Ganze war doch nur eine Vision ... eine Halluzination ... oder nicht?
    Während Danni nach dem Anlass ihres Unbehagens suchte, hörte die Frau nicht auf, sie anzustarren. Danni sah das Erschauern, das die andere durchlief und nicht einmal vor ihren Händen haltmachte, die ihre Kinder hielten. Ein Déjà-vu-Gefühl erfasste Danni, und dieses Empfinden, schon vorher einmal hier gewesen zu sein, war ebenso real, wie es unmöglich war. Sie kannte weder diesen Ort noch diese Frau noch die Kinder ...
    Aber ihre innere Abwehr stieß auf Zweifel. Sie sah den Jungen an, der still neben seiner Mutter stand, dann das kleine Mädchen, das sie an der anderen Hand hielt. Das Gesicht der Kleinen war tränenüberströmt, ihre Augen waren groß und grau, ihr Haar goldbraun. Ihr wissender Blick schien bis in die tiefsten Winkel von Dannis Seele einzudringen.
    Es war fast so, als hätte eine riesige Faust die Zeit durchstoßen und Danni aus ihrem Körper herausgerissen. Dieses Mädchen war keine Fremde, aber es war auch keine Bekannte oder Freundin. Wie die Vision war die Kleine ... etwas Unmögliches. Sie war Danni - Danni als kleines Mädchen.
    Sie sah sich selbst ... sich selbst vor zwanzig Jahren.
    Danni überlief es heiß und kalt von Gefühlen, die sie in diesem Augenblick, der keinen Platz und keinen Bestand hatte in der Welt, die sie kannte, weder erfassen noch verarbeiten konnte. Deshalb richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, deren Gesicht ihr plötzlich sehr vertraut war, als sie sich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, ihre Arme um sie zu legen und von ihr umarmt zu werden.
    Denn diese Frau war ihre Mutter.
    Der noch immer nicht zu sehende Mann sagte etwas in einem scharfen, bösen Ton, der die Aufmerksamkeit ihrer Mutter sofort wieder ablenkte.
    »Nein!«, schrie Danni und stürzte vor, um zu versuchen, ihre Mutter wieder herumzudrehen. Sie zu berühren, zu umarmen und sie anzuflehen, sie, ihre Tochter, wieder wahrzunehmen. Doch was auch immer sie für einen Moment verbunden hatte, war verflogen. Das kleine Mädchen begann, untröstlich zu weinen, und der Mann, der neben der Frau und den Kindern auf dem Boden kniete, richtete sich auf unsicheren Beinen auf. Sogar in dem schwachen Licht der Höhle konnte Danni sehen, dass sein Gesicht nass von Tränen war, geschwollen und gerötet und von Schmerz und Trauer schwer gezeichnet.
    Aus irgendeinem vergessenen Winkel ihres Bewusstseins begann eine Erkenntnis aufzusteigen. Es war kein Déjà-vu, was sie hier sah - sie war schon
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