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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter
Autoren: weissbooks
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knielange Pelzmäntel und russische Wintermützen aus Kaninchenfell. Da sie meistens angetrunken oder gar besoffen waren, gingen sie immer schwerfällig und müde, als schleppten sie auf dem Rücken einen Sack Kartoffeln. Onkel Fähnrich, der Funker aus der Gelben Kaserne wie auch Tante Hanias Mann, und Onkel Versicherung, der Russischpole, der bei der staatlichen Versicherungsanstalt gearbeitet und nach seiner disziplinären Kündigung die Stelle eines Lagerverwalters angenommen hatte, gingen noch lethargischer als Barteks Vater, der ein spindeldürrer Bursche war. Eigentlich hatten Bartek, Anton und Marcin den Eindruck, die drei blonden Schwager trügen die ganze Erde auf ihrem Rücken. Sie litten unter dieser enormen Last sehr; sie litten für Millionen, für die Bewohner ihres Planeten. Ihre Gangart war »die Gangart der Elefanten«.
    Mariola, die ebenso wie ihr Halbbruder bei ihrem Vater zu Hause wohnte und in die viele Männer und Jungen von Dolina Ró ż verliebt waren (außer Bartek, der ja vergeben war), Mariola und die drei schwarzhaarigen Töchter von Oma Olcia schminkten sich übertrieben, als hätten sie jederzeit in der Dancing-Bar Piracka zu einem heißen Tanz mit einem neuen Fähnrich aus der Schwarzen oder Gelben Kaserne anzutreten. Und wenn Männer aus dem Westen nach Dolina Ró ż zu Besuch kamen, vor allem aus Deutschland, und den hiesigen Weibern begegneten, dachten sie, sie hätten es mit Prostituierten zu tun, was Bartek und seine Kumpels nicht kränkte, obwohl es sich um ihre eigenen Mütter und Tanten handelte. Die Jungen waren einen anderen Anblick nicht gewohnt, Frauen mussten so geschminkt und ausstaffiert sein − zu Hause, bei der Arbeit und selbst beim Putzen. Dennoch war auch das Schusterkind gegen Eifersucht nicht gefeit. Es brachte Bartek in Rage, wenn er − begleitete er wieder einmal seine Mutter und Tanten beim Einkaufen – gierigen Blicken junger Männer begegnete, die Stasia und ihre Schwestern von Kopf bis Fuß musterten und durchleuchteten, als wollten sie bei einer Pferdeauktion eine schöne gesunde Reitstute ersteigern. Die meisten Frauen des Städtchens gingen wie Giraffen, wackelten in engen Röcken mit ihren Hintern, warfen ständig selbstverliebte Blicke auf ihre rosa lackierten Zehennägel und die neuen Stöckelschuhe, und im Winter machten sie sich große Sorgen um ihre Schminke, dass der Schnee oder Regen sie zerstören und verschmieren könnte. Die Frauen verhüllten ihre Gesichter mit einem dicken Schal, und ihre schwarz getuschten Wimpern und Augenbrauen blinzelten, da sie schon wieder ein paar Schneeflocken gefangen hatten. Ihre Gangart war »die Gangart der Spielzeugpuppen«.
    Schtschurek trippelte wie eine Ratte, und man merkte ihm an, dass er in Wirklichkeit einem Angsthasen in nichts nachstand. Und da der Iltis ein feiges Tier war wie die Ratte, musste Schtschureks Trippeln »die Gangart des Iltisses« heißen.
    Am lächerlichsten erschien Bartek und Anton, wie ihre Mitschüler gingen − auf den vorderen Fußballen, ihre Fersen berührten beim Gehen kaum den Boden, und in ihrem Springen von Schritt zu Schritt wollten sie ihre Feinde einschüchtern und ihnen zeigen, was für tolle Hechte sie seien: Kampfhähne erster Güte. Es war »die Gangart der Springenden Hechte«.
    Der Einzige, der seine Gangart dauernd änderte, war Norbert. Er dackelte und tapste durch die Gegend wie eine Ente, wenn er aufgeregt war und eine wichtige Nachricht in schriftlicher Form zu überbringen hatte. Sein Hintern vibrierte, er drehte sich wie ein Propeller. Oder Norbert schleppte sich, wenn er mies gelaunt war, schweren Schrittes durch die Straßen von Dolina Ró ż , als würde ihn sein Buckel erdrücken. Seine Nase wurde dann länger und länger, und man hatte das Gefühl, Norbert würde im nächsten Moment umfallen und nie wieder aufstehen. Es war also »die Gangart des Helikopters«, die der Sohn von Herrn Lupicki repräsentierte, weil ein Helikopter besondere Flugkunststücke vorführen und gleichzeitig leicht zum Abstürzen gebracht werden konnte.
    »Schusterkind! Erzähl mir noch einmal, wie wir gehen! Ich höre es so gern aus deinem Munde!«, sagte Anton, als sie die Zigaretten mit ihren Schuhen ausdrückten und sich auf den Nachhauseweg machten. Anton trug eine eng anliegende schwarze Jeans und eine weiß-blaue Lederjacke mit metallenen Knöpfen; die Schulterklappen waren aus weißen und blauen Lederriemen geflochten. Er sah aus wie ein Rocker, aber eigentlich schlug
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