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Der Lippenstift meiner Mutter

Der Lippenstift meiner Mutter

Titel: Der Lippenstift meiner Mutter
Autoren: weissbooks
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kurzlebigen Witwerdasein erneut und zeugte mit der neuen Frau Lupicka − einer polnischen Köchin − die hitzköpfige und heißblütige Mariola. Es grenzte an ein Wunder, dass es diesem nicht besonders ansehnlichen Liebespaar gelungen war, eine echte Dorfschönheit zu zeugen. Die neue Frau Lupicka ekelte sich jedoch vor dem Dreck der Schusterwerkstatt, den ihr Mann täglich mit nach Hause einschleppte und der auch von seinen Fingernägeln und Händen nicht mehr wegzubekommen war, so sehr, dass sie mehr und mehr in tiefe Depressionen verfiel, auch wegen des Wasserkopfs von Norbert und wegen des sechsten Fingers ihres buckligen Stiefsohnes. Schließlich brannte sie mit einem Devisenschieber aus Olsztyn durch.
    Als Anton und Bartek das Villenviertel in der Karol-Marks-Straße verließen, hörten sie in der Ferne die Martinshörner der Feuerwehr, die sie nicht beunruhigten, da es in Dolina Ró ż öfter Feuerwehrübungen gab wie auch Kanonenschüsse der Artillerie auf dem Truppenübungsplatz der Schwarzen und Gelben Kaserne.
    Beim Anblick der Rauchwolken, die in der Nähe des Landgerichts hoch in den Himmel gestiegen waren, wurde ihnen klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste und dass es sich bestimmt nicht um eine Übung handelte. Sie rannten los und blieben erst an der Kreuzung stehen, an der schon das Johanniter-Krankenhaus zu sehen war. Sie mussten einen mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Milizwagen vor ihren Nasen vorbeisausen lassen, bevor sie weiter laufen konnten.
    Leuchtete in der zweiten Etage des Johanniter-Krankenhauses ein violettes Licht, bedeutete dies, dass gerade ein Patient operiert wurde. Vor diesem violetten Licht fürchteten sich die Bewohner von Dolina Ró ż sehr: Es war die Farbe des Todes und der katholischen Pfarrer, deren Stolen für die Heilige Messe violett gefärbt waren. Und das violette Licht war wieder eingeschaltet – hatte man die ersten Opfer auf den Operationstisch gelegt?, fragten sich Bartek und Anton. Auch sie beide waren von ihren Müttern im Johanniter-Krankenhaus geboren worden, an einem Ort, der schon seit fast hundertfünfzig Jahren als Brutstätte des Guten und Bösen diente. Tausende, Abertausende von Menschen waren im weißen Bauch dieses ostpreußischen Krankenhauses zur Welt gekommen und gestorben: Deutsche, Polen, Ukrainer und Juden.
    Nun aber, nachdem der Milizwagen, dem zwei Krankenwagen hinterher geeilt waren, die Karol-Marks-Straße in Richtung des Landgerichts weitergefahren war, erblickten Bartek und Anton auf dem Gelände des Johanniter-Krankenhauses zwei Kühe, deren Rücken brannten und die, vor Schmerzen brüllend, zusammenbrachen und schwer zu Boden fielen. Männer und Frauen in weißen Kitteln kamen mit Wolldecken und Eimern voller Wasser herbeigerannt, um das Feuer auf den Rücken der Kühe zu löschen. Das schafften sie auch, aber die Tiere gaben keinen Ton mehr von sich. In der Luft schwebte der Geruch verbrannten Fleisches.
    Bartek und Anton rannten weiter. Mit offenem Mund liefen sie hinter den Krankenwagen her, die Karol-Marks-Straße hoch, und drehten sich nicht einmal um. Erst als sie die nächste Kreuzung erreichten, wo das Landgerichtsgebäude stand, sahen sie eine Absperrung der Miliz. Auf der abgesperrten Straße lagen ein paar Kühe, die ebenfalls gebrannt hatten – die Feuerwehr hatte jedoch das Feuer gelöscht.
    Sie hielten an, wo sich einige Schaulustige versammelt hatten. Die Jungen waren ganz aus der Puste und bemerkten nicht einmal, dass Schtschurek sich kaputt lachte und lauthals etwas in die Menge schrie. Marcin, der auch gerade angekommen war, brüllte Schtschurek an: »Halt deine dumme Fresse! Ich brech’ dir sonst sämtliche Knochen!« Bartek kämpfte sich durch die schaulustige Menschenmasse zu Marcin durch und fragte ihn: »Was ist denn hier passiert?!«
    »Schau doch! Da! Oder bist du blind?«, antwortete Marcin, der auf zwei umgekippte LKWS zeigte, die die Feuerwehr mit Löschschaum bedeckt hatte. Ein Tiertransporter und ein Tanklastwagen der Schwarzen Kaserne waren zusammengestoßen.
    »Wir haben aber keine Explosion gehört!«, sagte Anton, der keuchend nachgerückt kam.
    »Dann müsst ihr taub sein! Es hat geknallt, als hätte ein Flugzeug eine Bombe abgeworfen!«, erklärte Marcin. »Und diesmal waren es keine Haubitzen der Gelben oder Schwarzen Kaserne! Unsere Soldaten werden doch nicht auf die eigenen Leute schießen, obwohl selbst solche Irrtümer schon vorgekommen sind!«
    In den angrenzenden Gebäuden waren
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