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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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über die Formulierung amüsieren und erwägen, dieser Susanne eine entsprechende Postkarte zu schicken. Aber es gab keine gemeinsame Susanne. Es war seine Susanne. Schade, daß der Brief an sie schon verschlossen war, er hätte zu gern den Wetterbericht zitiert, mit einer beziehungsreichen Anspielung: »Hast du alles im Griff?« Er fragte sich, ob man einer verheirateten Frau namens Susanne anstelle des Absenders hinten auf das Kuvert den Satz schreiben konnte: »Radio Schweiz: das von den britischen Inseln kommende Hoch ‘Susanne’ hat Mitteleuropa fest im Griff.«
    »Alles dabei?« fragte Ellen freundlich. Viktor nickte.
    »Genug Kondome?«
    »Klar«, sagte Viktor, »willst du nachzählen?« Vor einiger Zeit, bei einem ähnlich eiligen Aufbruch, war Ellen eine verschlossene Packung mit vierundzwanzig Kondomen aufgefallen, die Viktor sich zurechtgelegt hatte. »Du hast ja was vor!« hatte sie gesagt. Viktor war begeistert von ihrer Souveränität. Als er nach einigen Tagen zurückkehrte, war Ellen zufällig hinzugekommen, als er seinen Koffer auspackte, und als sie lächelte, wußte er, daß ihr Blick auf die ungeöffnete Kondome-Schachtel gefallen war.
    »Ich möchte nicht wissen, was du so treibst, wenn du auf Schicht bist«, sagte Ellen jetzt.
    Viktor legte eine Hand auf ihr Knie: »
Auf Schicht
ist gut! Den Ausdruck darf ich übernehmen, ja?«
    Ellen reichte ihm einen Apfel. Zum Frühstücken war Viktor nicht mehr gekommen. Er nahm den Apfel: »Ist der nötig?« Und dann noch leiser: »Rieche ich aus dem Mund?« Ellen lächelte triumphierend und gab keine Antwort. Sie wußte: Wenn Viktor etwas irre werden ließ, dann die Angst, aus dem Mund zu riechen. Deshalb tat sie immer so, als täte er das. Vor allem bei solchen Aufbrüchen. Dabei lächelte sie milde, als mache ihr das nichts aus. Alle anderen Frauen, die Viktor mutig und testbereit anhauchte, versicherten immer, er rieche frisch. Entweder verging der Mundgeruch bei sexueller Erregung, oder Ellen belog ihn. Was ihr gutes Recht wäre. Er belog sie schließlich auch. Wollte sie ihn quälen? Auch das hätte er verdient, dachte er und biß in den Apfel.
    »Es gibt Männer«, sagte er, »die sind nicht in der Lage, ihre Koffer selbst zu packen, weißt du das! Die Frauen müssen ihnen die Koffer packen, stell dir das vor! Diese Kinder. Ich finde, du bist mit mir ganz gut bedient.«
    »In der Beziehung schon.« Ellen gab Gas und fuhr über Rot. »Jedenfalls werde ich die Tage ohne dich genießen.«
    Viktor war begeistert: »Haben wir nicht einen schönen, ruppigen, offenen Umgang miteinander!«
    »Offen?« sagte Ellen. Und dann: »Sei nicht so selbstgefällig.«
    Sie kamen am Bahnhof an.
    »Du solltest Rallye-Fahrerin werden«, sagte Viktor, »das fände ich sexy.« Er versuchte ungeschickt eine kleine Umarmung im Auto. Ein Anflug echter Lust war da, und diese Kostbarkeit wollte er zeigen. Ellen ließ es geschehen. »Jetzt, wo es zu spät ist«, sagte sie, »ist es keine Kunst. Gestern Abend hättest du mich in den Arm nehmen sollen. Aber nicht so – nicht so künstlich!«
    Viktor stöhnte lautlos und nickte: »Gestern Abend mußte ich mich auf die heutige Lesung vorbereiten.« Das war gelogen. Er mußte sich nicht vorbereiten. »Gut«, sagte er, »erhol dich von mir. In drei oder vier Tagen bin ich wieder da.«
    Seitdem Ellen in einem Buch von Viktor gelesen hatte, daß ein Mann sich unfrei fühlt, wenn seine Frau zum Abschied »Ruf mal an!« sagt, zitierte sie diese drei Worte entweder ironisch, oder sie schwieg. Viktor machte sich Sorgen, wenn das Zitat nicht kam. Er hatte es gern, wenn Ellen ihn verspottete. Wenn sie nichts sagte, kam sie ihm so resigniert vor. Sie sollte glücklich sein. Er liebte sie. Auch wenn er ihr wie jeder anderen Frau immer wieder versichert hatte, sie sei nicht sein ein und alles. Er hätte das nicht zu sagen brauchen. Er hatte Ähnliches seine Romanfiguren oft genug sagen lassen. Gern auch brachten seine Heldinnen ihre Verehrer mit solchen Sätzen aus der Fassung. »Ich ruf mal an«, sagte er.
    Noch zehn Minuten bis zur Abfahrt des Zugs. Viktor kaufte deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Er war die letzten Wochen aus Zürich nicht herausgekommen und wollte wissen, was die Leute in Deutschland beschäftigte. Nach Lesungen wird oft geredet. Dann wollte er präzise, originelle, bissige Ansichten über den großen Quatsch haben. Das war er sich und seinem Ruf schuldig.
    Ellen war ihm noch so nah, daß er den Brief an Susanne nicht
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