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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Glück seltenen Neigung zum Dramatisieren ausdrückte. Wenn sie jetzt zwanzig Minuten miteinander im Auto säßen, könnte das nicht schaden. Er würde sich nach den Lernstörungen des Sohns von Ellens Schwester und nach den Kosten seiner Nachhilfestunden erkundigen. Viktor sah sich schon entspannt im Taxi sitzen und an Susanne denken, aber dazu würde er im Zug genug Zeit haben.
    Er öffnete die Badezimmertür und rief in die große Wohnung: »Ellen! Bist du noch da?« Sie antwortete nicht, aber er hörte sie in der Küche. Er legte alle Reue, zu der er fähig war, in seine Stimme und flehte: »Wenn du mich doch zum Bahnhof fahren könntest, wäre das vielleicht meine Rettung!«
    Er hörte Ellen fluchen: »Ich wußte es!« Sofort bereute er seine Bitte. Sie konnte es nicht gewußt haben. »Dann komm aber auch!« Wie ungnädig sie das sagte. Wieder bereute Viktor, schlüpfte in ein Hemd, griff ein paar Socken, zwei Hemden, das Nötigste. Er wählte eine kleine Reisetasche und verzichtete auf das Mitnehmen eines zweiten Paars Schuhe. Wenn man drei Tage unterwegs war, waren ein zweites Paar Schuhe und eine weitere Hose angenehm. Zu spät. Viktor gelobte klammheimlich Besserung: mehr Ordnung, mehr Vorbereitung, mehr Organisation.
    Plötzlich stand Ellen neben ihm, jetzt plötzlich amüsiert und milde: »Kann ich dir helfen?«
    »Ich werde mich bessern!« sagte Viktor. Als er die Floskel ausgesprochen hatte, meinte er sie plötzlich ein bißchen ernst: weniger Liebesgier, mehr Konzentration, weniger Susanne, mehr Ellen würden solche Aufbrüche friedlicher machen.
    Es war Viktor nicht angenehm, daß Ellen Einblick in die offene Reisetasche hatte. Es war nicht verboten, neben seinem Mann zu stehen und ihm beim Packen zuzusehen. Etwas indiskret war es vielleicht, etwas taktlos. Oder war es eine kleine Rache? Da lag Susannes geöffneter Brief neben anderen geschlossenen Briefe. Es war nicht verboten, Fanpost zu bekommen und auf eine Reise mitzunehmen. Aber man mochte nicht dabei ertappt werden. Zur Besserung gehört vor allem, dachte Viktor, in Zukunft so rechtzeitig und in aller Ruhe zu packen, daß solche Situationen nicht mehr eintreten können. Einmal hatte Susanne Fesselungen erwogen, und Viktor war mit allerlei Riemchen gereist. Zum Glück waren diese Praktiken aufgegeben worden. Solche rätselhafte Ware im offenen Gepäck wäre ihm jetzt wirklich peinlich gewesen.
    Ellen wußte, daß Viktor litt, weil sie neben ihm stand. Seit acht Jahren lebten sie zusammen. Sie wußte auch, daß er niemals sagen würde: »Was stehst du hier herum! Ich fühle mich kontrolliert!« Solche Sätze fand Viktor stillos. Und sie würde niemals sagen: »Du Chaot! Wie du packst, du Pfau! Beweihräucherungspost nimmst du mit, anstatt eine vernünftige Hose!«
    Ellen genügte es zu wissen: Er weiß, daß ich das denke. Als der Alltag ihres Zusammenlebens begann, hatten sie sich eine Weile gegenseitig mit dergleichen Bemerkungen noch offen traktiert: »Steh nicht so da!« Dahinter stand der Seufzer: »Sei nicht so! Wärst du doch anders!« Als sie merkten, daß die klassischen Qualworte sie zermürbten, hatten Viktor und Ellen sie bleibenlassen. Auch damals hatte der Aufbruch zu einer kleinen Lesereise den Anstoß gegeben: »Nimm doch nicht den Pullover mit dem Loch mit!« Unerträglich, wie Ellen das gesagt hatte. Sie fand: ganz harmlos. Er fand: infam bevormundend. Viktor war laut geworden: »Raus! Du machst mich wahnsinnig!« Im Zug hatte er ihr dann geschrieben. »Laß uns nie wieder solche erbärmlichen Ausdrücke benutzen. Was mich betrifft, will ich sie in Zukunft unterdrücken und verdrängen. Ich bin für Verschwiegenheit. Man soll nicht alles sagen, was man denkt. Das ist gegen die Würde. Ich will nicht den Mist hören und sagen, der miesen Schauspielern in miesen Fernsehproduktionen aus dem Mund kommt. Das ist es, was kaputt macht!«
    Diese Zeilen waren eine Art Ehevertrag geworden, an den sich beide fortan hielten. Es war einer der wenigen Briefe, die Viktor an Ellen geschrieben hatte. Er schrieb viele Briefe, lange Briefe, und manchmal bedauerte sie, keine Post von ihm zu bekommen, wenn er verreist war. Manchmal war sie eifersüchtig, wenn sie Viktor Briefe schreiben sah. Doch was sollte sie schon sagen. Sie hatte nicht alle seine Bücher gelesen, aber genug, um zu wissen, was er ihr antworten würde. Es gab genügend Ehefrauen in seinen Romanen, die sich bei ihren Männern beklagten: »Warum schreibst du mir keine Briefe mehr?«
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