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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Ellen hatte es schwarz auf weiß in verschiedenen Versionen gelesen, was Viktor denken und nicht sagen würde, sollte sie das je fragen. »Was soll man sich schreiben«, würde er sagen, »wenn man zusammenlebt? Zusammenleben ist nicht romantisch. Die Sehnsucht ist beim Teufel. Sie sucht sich andere Ziele. Ich habe diese verfluchte Ehe nicht erfunden. Wir hätten nicht heiraten und zusammenziehen müssen. Vielleicht hätte ich dich dann ein Leben lang in vielen Briefen angeschmachtet. Wäre dir das lieber?« So sprachen die Männer klagender Frauen in Viktors Büchern.
    Ellen hatte keine Lust auf Viktors Lebensweisheiten. Daher sagte sie nichts, was zu Grundsatzerklärungen führen könnte, sondern nur: »In fünf Minuten. Deinetwegen rase ich nicht. Ich will meinen Führerschein behalten.«
    Den Ton mochte Viktor. Sachlich. Unsentimental. Schnippisch. Er küßte flüchtig Ellens Nacken. Plötzlich gefiel ihm ihr Rock. »Schon gut«, sagte sie und ließ ihn mit seiner offenen Reisetasche allein. Das Auto parkte zwei Straßen weiter. Sie würde hupen, wenn sie vor der Haustür stand. Viktor hatte noch genug Zeit, eine Nagelfeile aus seinem Arbeitszimmer zu holen. Sie lag auf dem Schreibtisch, weil er gern an seinen Nägeln herumfeilte, wenn er sich den Anfang eines neues Kapitels überlegte.
    Ellen war schnell. Schon hörte er die Hupe. Viktor griff seine Tasche und blickt auf die Uhr. Auf einmal gab es reichlich Zeit. Selbst mit einem kleinen Stau würden sie es schaffen. Er würde sich am Bahnhof noch Zeitungen kaufen und den Brief an Susanne einstecken können. Es wäre ein bißchen dreist gewesen, Ellen darum zu bitten. Susanne würde ihn morgen bekommen. Wieder einmal war alles gut gegangen. Er freute sich auf die Reise, auf das Lesen im Zug, auf die Lesung am Abend. Er freute sich auf Susanne und darauf, daß er sie nicht schon heute abend in Hannover, sondern erst übermorgen in Köln treffen würde. Das wäre ihm nicht angenehm: von Ellen zum Bahnhof gefahren und einige Stunden später von Susanne am Bahnhof abgeholt zu werden. Das wäre geschmacklos. Jedenfalls in seinem Alter. Zwischen dreißig und vierzig war es erlaubt. Damals hatte Viktor nichts dabei gefunden, von einer Frau zur anderen zu taumeln. Jetzt mochte er das nicht mehr. Er empfand es als unanständig. Es hätte auch etwas Behindertes. Als müsse er ständig betreut werden. Ging man von einer Frau zur anderen, war eine Quarantäne angebracht. Susanne würde ihn übermorgen in Köln am Bahnhof abholen, und da war genau die richtige Zeit dazwischen. Damit das klappte, hatte er ihr noch rasch schreiben müssen: das Hotel, die Ankunftszeit des Zuges. Er hatte die Auskunft anrufen müssen. Das dauerte. Susanne lebte in Zürich. Sie mußte den Brief morgen haben. Deswegen mußte er heute noch in Zürich eingeworfen werden. Deswegen hatte er noch rasch geschrieben werden müssen. Deswegen war alles so spät geworden. Wenn Viktor den Brief im Zug geschrieben und in Hannover eingeworfen hätte, könnte ihn Susanne morgen nicht haben. Dann hätte es übermorgen in Köln mit Susanne nicht geklappt. Das aber wäre ein Jammer. Viktor wollte nicht bei Susanne anrufen. Es gab Kinder, es gab einen Mann, der nichts wußte und nichts wissen sollte. Bloß keine Dramen auslösen.
    Heiter ging Viktor die bequeme Altbautreppe hinab. Als er zu Ellen ins Auto stieg, fand er sie rassig. Der Wagen war ein charakterloser kleiner Japaner, aber er stand ihr. Sie hörte Nachrichten und zwar konzentriert. Wie eine Agentin, die eine verschlüsselte Botschaft nicht verpassen darf, fand er. »Sei still«, sagte sie, obwohl er gar nichts gesagt hatte, und fuhr los.

    Die Wohnung lag im dritten Stock. Sie war hell und groß genug. Seit etwa zwei Jahren wohnten Viktor und Ellen hier. Ellen war Anwältin. Der Job in Zürich gefiel ihr. Eine der Supermarktketten, die nicht nebenher das große Geld mit Waffengeschäften macht. Rechtsabteilung. Vorher hatten Ellen und Viktor in Frankfurt gelebt. Erst hatte sie vorgehabt zu pendeln und eine Wochenend-Ehe führen. »Das wird uns gut tun«, sagten sie beide, und zwar im selben Augenblick. Sie lachten über diese einmütig vorgebrachte Zweistimmigkeit und fanden, wer so gleich denkt, kann auch weiter zusammenwohnen. Als Viktor die Wohnung in Zürich sah, hatte er sofort Lust auf einen Umzug. Endlich genug Platz. Endlich zwei Arbeitszimmer. Hin und her gehen können wie Goethe. Vormittags Sonne hier. Nachmittags Sonne da. Solides Parkett.
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