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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben
Autoren: Lisa Genova
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Er springt auf und kreischt und fuchtelt mit den Händen, ein fröhlicher Tanz.
    Sie lächelt die Mutter des Jungen an, die ihr Lächeln erwidert, aber es ist zurückhaltend und misstrauisch, ein Lächeln, das nicht zu mehr einlädt. Sie ist sich sicher, dass sie diese Frau oder ihren kleinen Sohn nicht kennt, und sie hat keinen bestimmten Grund zu denken, dass sie sie je wiedersehen wird, aber als sie sich zum Gehen wendet, winkt sie und sagt mit völliger Überzeugung: »Bis später.«

EINS
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    Beth ist allein in ihrem Haus, lauscht auf den Sturm und überlegt, was sie als Nächstes tun könnte. Um genau zu sein, ist sie nicht wirklich allein. Jimmy ist oben und schläft. Aber sie fühlt sich allein. Es ist zehn Uhr morgens, die Mädchen sind in der Schule, und Jimmy wird mindestens bis mittags schlafen. Sie sitzt mit angezogenen Knien auf der Couch, schlürft einen heißen Kakao aus ihrem blauen Lieblingsbecher, sieht dem Feuer im Kamin zu und lauscht.
    Regen und Sand schlagen gegen die Fensterscheiben wie ein angreifender Feind. Windspiele klimpern in einem fort, eine völlig verrückte Musik, aus irgendeinem fernen Nachbarsgarten von den Böen herübergetragen. Der Wind heult wie ein verzweifelt wimmerndes Tier. Ein verzweifelt wimmerndes wildes Tier. Die Winterstürme auf Nantucket sind wild. Wild und brutal. Früher haben sie ihr Angst gemacht, aber das war vor Jahren, als sie neu auf dieser Insel war.
    Die Heizung zischt. Jimmy schnarcht.
    Die Wäsche hat sie bereits erledigt, die Mädchen werden erst in ein paar Stunden nach Hause kommen, und es ist zu früh, um das Abendessen in Angriff zu nehmen. Sie ist froh, dass sie die Einkäufe schon gestern erledigt hat. Das ganze Haus muss gestaubsaugt werden, aber damit wird sie warten, bis Jimmy aufgestanden ist. Er ist erst nach zwei Uhr morgens von der Arbeit nach Hause gekommen.
    Sie wünscht, sie hätte das Buch für den Buchclub im nächsten Monat. Sie vergisst immer wieder, bei der Bibliothek vorbeizufahren, um es sich auszuleihen. Das Buch in diesem Monat war Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone von Mark Haddon. Es war eine schnelle Lektüre, eine Mordgeschichte, erzählt von einem autistischen Teenagerjungen. Sie mochte es und war besonders fasziniert von der seltsamen Innenwelt der Hauptfigur, aber sie hofft, dass das nächste Buch ein bisschen leichter sein wird. Im Allgemeinen wählen sie eher ernste Literatur für den Buchclub, aber im Moment könnte sie eine angenehme Flucht in eine heiße Sommerromanze gebrauchen. Das könnten sie alle.
    Ein lauter Rums gegen die Rückseite des Hauses lässt sie zusammenzucken. Grover, ihr schwarzer Labrador, der auf dem Flechtteppich geschlafen hat, hebt den Kopf.
    »Schon gut, Grove. Das ist nur Daddys Stuhl.«
    Da sie wusste, dass ein schwerer Sturm im Anzug war, hatte sie Jimmy gestern Abend gebeten, seinen Stuhl noch ins Haus zu bringen, bevor er zur Arbeit fuhr. Es ist sein »Zigarren«-Stuhl. Einer der Sommerbewohner hat ihn im September am Straßenrand stehen lassen, mit einem Schild, auf dem ZU VERSCHENKEN stand, und Jimmy konnte nicht widerstehen. Das Teil ist Schrott. Es ist ein Adirondack-Stuhl aus Zedernholz. An den meisten Orten der Welt könnte dieser Stuhl ein Leben lang halten, aber auf Nantucket zersetzt die salzige, feuchte Luft letztendlich alles, was nicht aus den dichtesten künstlichen Verbundstoffen besteht. Alles muss außergewöhnlich hart sein, um hier zu überleben. Und vermutlich mehr als nur ein bisschen dicht.
    Jimmys moderiger, zerfressener Stuhl gehört auf den Müll oder wenigstens in die Garage, wie Beth gestern Abend weise bemerkt hat. Aber stattdessen hat der Wind ihn einfach in die Luft geworfen und gegen das Haus geschleudert. Sie spielt mit dem Gedanken, aufzustehen und den Stuhl selbst in die Garage zu schleppen, aber dann überlegt sie es sich anders. Vielleicht wird der Sturm ihn ja zertrümmern. Aber natürlich, selbst wenn das passiert, wird Jimmy einfach irgendeinen anderen Stuhl finden, auf dem er sitzen kann, während er seine stinkenden Zigarren raucht.
    Sie sitzt da und versucht ihren Kakao, den Sturm und das Feuer zu genießen, aber der Impuls, aufzustehen und etwas zu tun, lässt ihr keine Ruhe. Ihr fällt nur nichts Sinnvolles ein. Schließlich tritt sie an das Kaminsims und nimmt das Hochzeitsfoto von Jimmy und sich in die Hand. Mr. und Mrs. James Ellis. Vor vierzehn Jahren. Ihr Haar war damals länger und blonder. Und ihre Haut war
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