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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben
Autoren: Lisa Genova
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Oktober.
    Als sie die Karte aufklappt, sind die Worte Alles Gute zum Geburtstag mit einer einzigen, selbstbewussten Linie mit blauem Kugelschreiber durchgestrichen. Darunter hat irgendjemand geschrieben:
    Ich schlafe mit Jimmy.
    P. S. Er liebt mich.
    Sie braucht ein paar Sekunden, um die Karte noch einmal zu lesen, um sicher zu sein, dass sie die Worte richtig verstanden hat. Sie spürt ihr Herz hämmern, während sie den Umschlag wieder in die Hand nimmt. Wer hat das geschickt? Ein Absender steht nicht darauf, aber die Briefmarke ist auf Nantucket abgestempelt worden. Sie erkennt die Handschrift nicht. Die Schrift ist ordentlich und geschwungen, eindeutig die einer Frau. Einer anderen Frau.
    Den Briefumschlag in der einen und die Karte in der anderen Hand sieht sie hoch zum Kaminsims, auf ihr perfekt zentriertes Hochzeitsbild, und sie schluckt. Ihr Mund ist auf einmal wie ausgedörrt.
    Sie steht auf und tritt an den Kamin. Sie schiebt das eiserne Schutzgitter zur Seite. Sie wirft den Victoria’s-Secret-Katalog ins Feuer und sieht zu, wie sich seine Ränder einrollen und schwarz werden, während er zu grauer Asche verbrennt. Verschwunden. Ihre Hände zittern. Sie umklammert den Briefumschlag und die Karte. Wenn sie sie jetzt verbrennt, dann kann sie so tun, als hätte sie sie nie gesehen. Sie haben nie existiert.
    Ein Schwall unerwarteter Emotionen durchflutet sie. Sie verspürt Angst und Wut, Panik und Demütigung. Sie verspürt Übelkeit, als müsste sie sich gleich übergeben. Aber was sie nicht verspürt, ist Verblüffung.
    Sie schließt das Kamingitter. Die Karte und den Umschlag in der Faust, stapft sie die Treppe hoch, mit laut polternden Schritten, Jimmys Schnarchen entgegen.

ZWEI
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    Olivia zieht sich bis auf die Unterwäsche aus und schlüpft in eine Jogginghose, Socken und ihr ältestes Boston-College-Lieblingssweatshirt. Trockener, aber noch immer frierend eilt sie hinunter ins Wohnzimmer und drückt auf die Fernbedienung für den Kamin. Sie stellt sich vor das Heißluftgebläse und wartet, aber es verströmt keine spürbare Wärme. Sie legt eine Hand an das Glas. Es ist kaum warm. Es war Davids Idee, den Kamin auf Gas umzustellen. Besser für die Mieter. Praktischer und weniger schmutzig.
    Obwohl ihnen das Cottage seit elf Jahren gehört, haben sie und David nie wirklich hier gelebt. Sie haben es als Investition gekauft, kurz bevor der Immobilienmarkt boomte und die Preise in die Höhe schossen. David, der nach seinem BWL -Studium widerstrebend in das Immobilienunternehmen seiner Familie eintrat, hält immer Ausschau nach Immobilien mit Potenzial. Es geht ihm ausschließlich um die Lage, die Lage, die Lage. Er sucht nach einem sanierungsbedürftigen Objekt in der richtigen Gegend, kauft es, beauftragt Baufirmen damit, die Küche und die Bäder zu renovieren und es innen und außen zu streichen, und dann verkauft er es. Das Ziel ist immer ein schneller Umsatz, ein VERKAUFT -Schild im Vorgarten und ein ordentlicher Gewinn in seiner Tasche.
    Aber Nantucket war etwas anderes für David. Da fast fünfzig Prozent der Insel zum Naturschutzgebiet und als »für immer wild« erklärt sind, sodass nur die Hälfte der knapp hundertdreißig Quadratkilometer Bauland ist, war David nicht daran interessiert, dieses Haus schnell wieder zu verkaufen. Er versicherte Olivia, dass der Grundstückswert niemals unter das sinken würde, was sie dafür bezahlt hatten. Das Haus ist nichts Besonderes, ein bescheidenes Drei-Zimmer-Cottage mit kaum nennenswerten Details in den Zimmern oder im Grundriss. Aber mit seiner Lage, keine Meile vom Fat Ladies Beach entfernt, ist es eine hoch begehrte Ferienimmobilie, und David lag richtig mit seiner Vermutung, dass sie mit Vermietungen im Sommer ihre jährlichen Hypothekenzahlungen stets mehr als decken würden.
    Es ist eine kluge Investition für unsere Zukunft , hatte er gesagt, damals, als sie sich eine Zukunft noch so glückselig vorstellen konnten.
    In den Zwischensaisons wohnten sie jedes Jahr für ein, zwei Wochen in dem Haus, im Allgemeinen im Oktober, aber sie hörten ganz auf, hierherzukommen, nachdem Anthony drei geworden war. So ziemlich alles hörte auf, nachdem Anthony drei geworden war.
    Eine heftige Windböe heult in der Ferne, sie klingt in Olivias Ohren wie ein kleines Kind, das vor Schmerz aufschreit. Die Fenster klappern, und eine kalte Brise streicht über ihren entblößten Nacken. Sie fröstelt. Nantucket im Winter. Sie wird eine Weile brauchen, um sich daran zu
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