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Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Autoren: Alexandra Grote
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Muriel Weill war eine zierliche Frau von Ende vierzig. Ihr Gesicht, blass und schmal, wurde von zwei verschiedenfarbigen Augen dominiert. Bette Davis’ Eyes, dachte LaBréa jedes Mal, wenn er sie sah. Es irritierte ihn stets ein wenig, wenn er sie begrüßte und ein braungrünes und ein blaues Auge ihn anblickten. Was auch heute der Fall war.
    »Nochmals mein aufrichtiges Beileid, Monsieur«, sagte sie, als sie sich aus ihrem Schreibtischsessel erhob und mit ausgestreckter Hand auf ihn zuging.
    »Danke, Madame Weill. Ich würde meine Mutter gern sehen.«
    »Natürlich. Kommen Sie, Commissaire.«

    Die Heimleiterin begleitete LaBréa in einen Seitenflügel des Chäteaus. Dort gab es einen Raum für Verstorbene.
    »Hier, bitte, Monsieur.« Muriel Weill öffnete eine Flügeltür. Ein kalter Lufthauch wehte LaBréa entgegen, und ein seltsamer Geruch lag im Raum. Eine Mischung aus Desinfektionsmittel und irgendeinem Blumenduft, so schien es ihm.
    »Ich lasse Sie allein«, sagte die Heimleiterin leise und zog sich diskret zurück.
    LaBréa schloss die Tür und verharrte einen Moment reglos. Der Raum war groß und fast leer. Durch die verhängten Fenster drang diffuses Licht herein. Das einzige Geräusch, das LaBréa hörte, war das Trommeln des Regens an den Scheiben.
    In der Mitte des Raums sah er den Leichnam seiner Mutter auf einer Bahre. Langsam ging LaBréa näher. Sein Herz klopfte, und eine plötzliche Furcht ergriff ihn. Es war die Furcht davor, für immer Abschied nehmen zu müssen.
    Lucia LaBréas Gesicht war von wächserner Farbe, die Augen geschlossen, der Kiefer mit einem schmalen Tuch hochgebunden. Sie trug ein weißes Totenhemd, und bis zur Taille hatte man sie mit einem weißen Laken bedeckt. Auf den Handrücken der über der Brust gefalteten Hände traten die Adern hervor, dunkelblau und dick. Der Ehering am linken Ringfinger schien mit der fahlen Haut verwachsen. Mit den eingefallenen
Wangen, den tiefen Falten und dem Mund, der LaBréa unnatürlich schmal und klein erschien, wirkte sie plötzlich so alt, dass er erschrak. So hatte er sie nicht in Erinnerung. Es war, als hätte der Tod einen raschen, zusätzlichen Alterungsprozess ausgelöst. Vor wenigen Wochen hatte er sie, zusammen mit Celine und Jenny, zum letzten Mal besucht. Jenny, die ihre Großmutter nur als Kranke kennengelernt hatte, war nur ungern mitgekommen und hatte sich nach fünf Minuten mit dem neuesten »Harry Potter«-Band ins Besucherzimmer zurückgezogen. Seine Mutter erkannte ihn auch diesmal nicht. Als er ihr Grüße von Richard ausrichtete, fragte sie: »Wer ist Richard?« Céline redete sie mit »Isabella« an. LaBréa erklärte Céline später, dass Isabella die ältere Schwester seiner Mutter war, die bereits in jungen Jahren an Leukämie gestorben war. Es war ein trauriger Besuch gewesen, doch wahrscheinlich mehr für die Besucher als für die Kranke, denn seine Mutter schien in ihrer Welt nicht unglücklich zu sein.
    Behutsam berührte er ihre kalte Hand und betrachtete ihr Gesicht. In seiner Erinnerung verwandelte es sich in das Gesicht der jungen Frau, die sie einmal gewesen war. Er hörte ihr Lachen, vernahm ihre Stimme: »Maurice, kommst du zum Essen?... Soll ich dich nochmal Vokabeln abhören, Maurice? ...« Er sah ihre schlanke, große Gestalt am Tag der Beerdigung seines Vaters. Die beiden Brüder hatten die Mutter untergehakt.
So standen sie am Grab, und unter dem schwarzen Witwenschleier war Lucia LaBréas Gesicht von Tränen überströmt.
    Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn und auf beide Wangen.
    »Leb wohl, Maman«, flüsterte er, und seine Augen füllten sich mit Tränen. »Danke für alles, und verzeih mir, dass ich in den letzten Jahren so wenig Zeit für dich hatte. Ich werde dich nie vergessen, und ich bin unendlich traurig...«
    Er schluckte und zog ein Taschentuch aus der Manteltasche. Seit Annes Tod hatte er nicht mehr geweint. Innerhalb eines Jahres waren zwei geliebte Menschen für immer von ihm gegangen. Die Tränen rannen ihm über die Wangen, und in einem Anflug von tiefer Verzweiflung schluchzte er laut auf.
    Ein letztes Mal blickte er in das bleiche Antlitz seiner Mutter, ein Bild, das er nun für den Rest seines Lebens in sich tragen würde. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
    Auf dem Flur wischte er die Tränen weg und versuchte sich zu fassen. Dann machte er sich auf den Weg ins Büro von Madame Weill. Unterwegs warf er einen Blick auf sein Handy. Eine Nachricht war
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