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Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Autoren: Alexandra Grote
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Jugend wach. So war es schon gewesen, als LaBréas Vater seinerzeit bei dem Zugunglück ums Leben gekommen war. Auch heute tauchten unendlich viele Bilder von früher auf. Seine Mutter, die ihm im Alter von fünf Jahren bei einem Meeresurlaub das Schwimmen beibringt. Als sie mit ihrem jüngsten Sohn Richard schwanger ist, bricht sie eines Tages in der Wohnung ohnmächtig zusammen. Der achtjährige Maurice wählt die Notrufnummer, und wenig später bringen Sanitäter die Mutter ins Krankenhaus, wo das Brüderchen per Kaiserschnitt zur Welt kommt. Die Küche in der Wohnung seiner Eltern im 14. Arrondissement. Er sitzt am Tisch und sieht zu, wie seine Mutter den Teig anrührt, aus dem sie wenig später einen Kuchen backen wird. Der kleine Maurice darf die Schüssel auskratzen. Plötzlich spürte LaBréa im Mund wieder den Geschmack von Vanille und Cointreau, traditionelle
Bestandteile dieses Kuchenrezepts. Und dieser Duft, wenn der irdene Napf im Ofen war! Später, mit fünfzehn, sechzehn Jahren, holte er seine Mutter abends oft aus der Modeboutique ab, in der sie arbeitete. Sie war eine große, schlanke Frau, die sich elegant kleidete und nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten. Er war stolz, sich mit ihr zu zeigen. Einmal sah ihn ein älterer Schüler aus der Abiturklasse, als er mit ihr durch die Rue de Rennes ging. Am nächsten Tag sprach ihn der Junge auf dem Schulhof an. »Die Braut gestern, wer war das denn? Deine große Schwester? Klasse Frau, ehrlich!« Damals hatte LaBréa dies als Kompliment aufgefasst und war puterrot geworden. Als er jetzt daran dachte, musste er unwillkürlich lächeln. Das Verhältnis zu seiner Mutter war immer vertraut und innig gewesen. Er wusste, dass er ihr Lieblingssohn war, während Richard sich mehr zu seinem Vater hingezogen fühlte. Leider verunglückte dieser tödlich, als Richard gerade mal vierzehn war.
    Ihre Krankheit hatte sich rasant entwickelt, ohne große Vorzeichen, wie es sonst meist bei Alzheimerpatienten der Fall ist. Es begann damit, dass sie den Hörer des schnurlosen Telefons in den Kühlschrank legte und ihn dann stundenlang verzweifelt suchte. Sie war selbst so geschockt darüber, dass sie danach lange weinte. In den darauffolgenden Monaten vergaß sie immer mehr Dinge, verwechselte Personen und
Begebenheiten. Es folgten eigenartige Wortverdrehungen und zeitweilig Orientierungslosigkeit. Ein Arzt wurde zurate gezogen, und die Diagnose stand schnell fest. Lucia LaBréa lebte noch einige Monate in ihrer Wohnung, eine Pflegerin kümmerte sich mehrere Stunden am Tag um sie, und ihr jüngster Sohn Richard besuchte sie regelmäßig. Als sie in einer kalten Winternacht nur mit ihrem Nachthemd bekleidet die Wohnung verließ und gegen drei Uhr früh von einer Polizeistreife am Eingang zur Metrostation Montparnasse aufgegriffen wurde, mussten die Brüder eine Entscheidung treffen. LaBréa arbeitete zu der Zeit bereits bei der Police Judiciaire in Marseille und hatte den Verlauf der Krankheit nur aus der Ferne verfolgen können. Er nahm sich einige Tage Urlaub und fuhr mit seiner Frau Anne, einer Ärztin, nach Paris. Gemeinsam suchten sie einen Platz in einem Pflegeheim. Ein Kollege von Anne empfahl ihnen das Château des Prés , und ein glücklicher Zufall wollte es, dass binnen zehn Tagen dort ein Zimmer frei wurde. LaBréas Mutter erhob keine Einwände gegen die Einweisung ins Heim. Ihr Zustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass sie apathisch wirkte und sich immer mehr in ihrer eigenen Welt verlor. Der Welt des Vergessens, der fortschreitenden Auflösung der Persönlichkeit. Ein Leben ohne Erinnerung, so schien es, ohne persönliche Bindungen und Bezüge, denn bald schon erkannte sie ihre Söhne nicht mehr.

    War der Tod eine Erlösung für sie gewesen? LaBréa wusste es nicht. Er scheute sich auch, dies zu beurteilen. Die Alzheimer-Krankheit führt zur stetigen Auflösung und Zerstörung der Gehirnzellen. Doch wer wusste schon, welche Empfindungen die Kranken tatsächlich noch hatten? Sie konnten Schmerz spüren, so viel war sicher. Und sie zeigten oft Emotionen, die einen kurzen Blick auf ihren Seelenzustand erlaubten, so verwirrt und gezeichnet er auch sein mochte.
     
    LaBréa parkte den Wagen direkt vor dem Eingang und rannte im Laufschritt die Stufen hoch. Im Gebäude stellte er sein Handy auf lautlos. So konnte er Nachrichten empfangen und dennoch ungestört sein.
    Das Büro der Heimleiterin befand sich am Ende des Korridors im Erdgeschoss.
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