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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer
Autoren: Christian von Aster
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dass es Größeres gibt als die Freiheit. Ich weiß nicht, ob es etwas nutzt, aber ich werde es versuchen. Dieses Mädchens wegen. Wenn es mir gelingt, hat sie vielleicht noch die Chance, ein normales Leben zu führen. Womöglich sogar in einer Welt, die nicht von Schatten beherrscht wird …« Beinahe zärtlich blickte Jonas sie an. Dann sprach er an seinen Schatten gerichtet weiter »Doch bevor ich in den Limbus gehe, werde ich dich freilassen. Denn ich weiß, was dir widerfahren ist. Wenn die Menschen schwach sind, wie sollten ihre Schatten es nicht sein? Du wirst frei sein und tun können, was immer du willst. Egal, ob du in den Limbus eingehen, dir einen neuen Herrn suchen oder einen Körper untertan machen willst. Bevor wir uns trennen, sollst du wissen, dass ich dir vergebe …«
    Kaum hatte er es ausgesprochen, da löste Jonas Mandelbrodt mit einer knappen Geste seinen Schatten von seinem Fuß.
     
    Um wie viel größer als meine Rache war das, was mich durchfuhr, als mein Herr dies tat. Was war Rache, was der Sieg, verglichen mit wahrhaftiger Vergebung?
    Jonas Mandelbrodt beschämte mich. Mich und jeden Schatten, der sich jemals gegen seinen Herrn erhoben hatte.
     
    Es war ein eigentümliches Schauspiel, als der Schatten sich um den Jungen legte und dieser seine Arme um das Dunkel schloss. Und als sie sich umarmten, gab es nichts mehr, das sie trennte. Keine Bitternis, kein Vorwurf. Nie zuvor waren Jonas und sein Schatten einander derart nahe gewesen.
    Dann vernahmen sie über sich, oben in der Hütte, das Splittern der Tür. Schüsse hallten von den Wänden wider und die Eindringlinge warfen sich knappe Kommandos zu. Die Söldner des Rates stürmten die Zuflucht!
    Hastig löste Jonas sich aus der ungewöhnlichen Umarmung.
    »Achte auf sie«, war das Letzte, was er seinem Schatten mit auf den Weg gab. Es war eine unmissverständliche Anweisung. Und sein Schatten würde sie nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen. Zumindest das war er Jonas Mandelbrodt schuldig.
    Und dann trat der Junge durch das Tor. Und sein menschlicher Körper zerfloss zu einem schillernden Schatten, der in den Limbus einging, um sich dort mit den gewöhnlichen Schatten zu mischen.
    Und kaum, dass dies geschehen war, löste das Tor sich endgültig auf…
     
    Das Dunkel im Herzen der Welt hatte sich noch nicht von der Ankunft des Eidolons erholt. Noch immer war die Höhle ganz erfüllt vom Staunen der Schatten, und schwarz durchzuckten die vielfach verzweigten Blitze die in Aufruhr befindliche Finsternis. Der Geist des Eidolons war bis in den letzten Winkel des Dunkels gedrungen, und die Schatten waren endgültig willens, ins Licht hinauszudrängen und die Welt an sich zu reißen. Mehr und mehr von ihnen fuhren empor, um sich die Menschen untertan zu machen. Finster ergoss sich die Rache des Alchemisten in die Welt.
    Das Dunkel des Eidolons hatte sich untrennbar mit dem Mahlstrom der Schatten verbunden, als etwas Neues in den Limbus drängte. Etwas, das noch weniger Schatten war als das Eidolon. Jonas Mandelbrodts Geist floss als farbiges Schillern in das große Dunkel und vermengte sich mit der unendlichen Schwärze.
    Sofort begann das Dunkel, sich wieder zu wandeln. Zunächst wurden bunte Schlieren im Dunkel sichtbar. Dann veränderte sich das schwarze Unlicht der flackernden Blitze. Erst zuckten sie schwarz, dann weiß, flimmerten dann blau und flirrten schlussendlich grellgelb. Dann war Jonas Mandelbrodt ganz im Dunkel aufgegangen.
    Mit dem Wesen dieses Jungen, der als erster und einziger Mensch je in den Limbus eingegangen war, erfuhren die Schatten, was es bedeutete, Mensch zu sein. Wie wenig hatten die Schatten doch von denen geahnt, an deren Fersen sie sich seit Urzeiten geheftet hatten …

    Schwärze lag über der Welt. De Maesters Söldner aber ließen sich von der undurchdringlichen Dunkelheit nicht aufhalten. Selbst die Finsternis der Apokalypse konnte ihren Kampfgeist nicht brechen. Auf ihren automatischen Waffen und Helmen gleißten Lampen, deren Schein das Dunkel trotzig durchstieß. Und während sich die meisten Söldner noch immer den Weg durch den oberen Teil Ambrìs bahnten, waren de Maester und zwei seiner Offiziere bereits in die Hütte des Wächters eingedrungen. Im Keller schob sich der Gestalt gewordene Schatten Jonas Mandelbrodts schützend vor das Mädchen.
    Das Dunkel vor den Fenstern der Hütte schien sich zu verfestigen und mit jedem Moment schwerer auf der Welt zu lasten. Das Gewehr im Anschlag bewegte
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