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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer
Autoren: Christian von Aster
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sich de Maester, von seinen Männern gedeckt, durch die oberen Zimmer. Die Schritte seiner Stiefel ließen die Bodendielen erzittern. Erde rutschte zwischen ihnen hindurch, rieselte in den Keller hinab und prasselte leise neben Maria zu Boden. Dann hatte de Maester die nach unten führende Treppe entdeckt.
    Zwei knappe Zurufe später stürmten seine Männer die Stufen hinunter. Das Licht ihrer Scheinwerfer schnitt in das Dunkel des Kellers, fiel durch Jonas’ Schatten und blendete das Mädchen.
    »Sichtkontakt, Sir! Das Mädchen ist hier. Aber keine Spur von dem Jungen.«
    Die Söldner richteten ihre Waffen auf das Mädchen. Der Schatten erkannte die Zeichen auf ihren Uniformen. Weder würde er sich ihnen entgegenstellen noch mit Maria fliehen können. Sie saßen in der Falle. Im diesem Moment betrat Boris de Maester den Keller. Er nickte seinen Männern knapp zu.
    »Hafner, Steinmeyer, gute Arbeit, meine Herren. Haben wir also zumindest das Mädchen bekommen. Aber bei dem, was da draußen vor sich geht, können wir froh sein, dass uns überhaupt etwas gelingt.«
    Angewidert erkannte der Schatten, der einst zu Jonas Mandelbrodt gehört hatte, Boris de Maester, dessen Bild sich vor Hunderten von Jahren in sein Dunkel eingebrannt hatte. Auch sein Gegenüber erkannte ihn und sah sich nun ungläubig dem Schattenbild George Ripleys gegenüber.
    »Was für ein unerwartetes Vergnügen. Obwohl das vielleicht das falsche Wort ist.« Er zögerte kurz. »Ist es das, was du gewollt hast? Das, was gerade dort draußen geschieht?«
    Doch de Maester bekam keine Antwort.
    »Glaube mir, Ripley, selbst wenn deine Kreatur sie alle infiziert, wenn die Schatten kommen, werden wir bereit sein. Einen nach dem anderen werden wir zerreißen, und wenn wir auch die letzten Menschen sind, die euch trotzen!«
    Ripley blieb weiterhin stumm. De Maester gab seinen Männern ein Zeichen.
    »Erschießt die Kleine und bannt diesen Schatten.«
    Hafner und Steinmeyer entsicherten ihre Waffen. Verwundert blinzelte Maria in die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer, als das Dunkel mit einem Mal eine Erkenntnis durchzuckte, die vom Limbus ausging. Für den Bruchteil eines Augenblicks erfüllte sie den Himmel, die Erde, das Sein und drang bis in den hintersten Winkel der Existenz, um dort auch noch den letzten Schatten zu ergreifen.
    Und mit diesem kurzen Wimpernschlag allumfassender Vergebung endete auch die Schattenfinsternis. Sie verschwand ebenso schnell, wie sie begonnen hatte. So wie die Schatten trunken von Freiheit und Macht gewesen waren, so schauderten sie nun unter dem Gefühl der Vergebung.
    Schatten, die sich eines Neugeborenen bemächtigt hatten, flossen wieder aus ihm heraus, hefteten sich an seine Füße und räumten der Seele ihren Raum ein. Die beiden Söldner stutzten. Durch die Fenster der Hütte fiel zaghaftes Sonnenlicht auf Kellerstufen. De Maester blickte verwundert auf und begriff, dass irgendetwas Unfassbares passiert war.
    Doch was auch immer in den Schatten geschehen war, er war hier, um den Befehl des Rates auszuführen: Carmen Maria Dolores Hidalgo musste sterben. Um das Gleichgewicht zu retten und die Schmach auszumerzen, die er in Saint Murebod erlitten hatte … Doch bevor er seinen Befehlen Nachdruck verleihen konnte, drang von außen her ein anderer Schatten in den seinen.
    Boris de Maester vernahm die Worte des Ältesten:
    »Es reicht. Steck deine Waffen weg. Was immer das Gleichgewicht auch ist, fortan werden sie es selber zu wahren wissen. Es ist vorbei.«
    Die Hand des Angesprochenen zitterte an seiner Pistole. Unter dem akkurat geschnittenen Haaransatz trat Schweiß hervor. Auch Hafner und Steinmeyer hatten die Stimme des Alten vernommen.
    »Sir?«
    Einen kurzen Moment lang wirkte es, als wolle de Maester Maria tatsächlich doch noch erschießen. Dann aber sicherte er seine Waffe und stieß sie zurück in ihr Holster.
    Er trat beiseite und betätigte missmutig sein Funkgerät.
    »Abbruch. Kampfhandlungen einstellen und den Ort räumen. Ich wiederhole: den Ort räumen. Wir ziehen uns zurück.«
    Seine beiden Männer gaben den Weg zur Treppe frei.
    Und an der Hand des Schattens stieg Maria die Stufen empor, trat vor die Zuflucht des Wächters – die rauchenden Häuser Ambrìs unter sich im Tal – und blinzelte in die Sonne.
    Als kurz darauf im fernen Prybjat Ahasver, der ewige Wanderer verstarb, erblickte Maria im Gras vor der Hütte zwei Käfer, von denen einer den Schatten des anderen warf.
    Und nichts schien dem Mädchen
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