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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Autoren: Ben Winters
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zitieren.«
    »Hm.« Ich achte darauf, keine Miene zu verziehen. Es ist tatsächlich ein wörtliches Zitat aus Farley und Leonard, Polizeiliche Ermittlungen , Einführung zum sechsten Kapitel. »Jetzt brauche ich doch etwas.« Ich zeige auf Zells Monitor, der umgedreht worden ist, sodass der Bildschirm zur Wand zeigt. »Was ist mit den Computern hier los?«
    »Seit November läuft bei uns alles nur noch mit Papier«, sagt sie achselzuckend. »Es gibt ein komplettes Netzwerk, durch das auch die Zentrale und die diversen regionalen Zweigstellen Zugriff auf unsere Akten hatten, aber es ist unglaublich langsam geworden und nervt nur noch. Deshalb arbeitet das ganze Unternehmen offline.«
    »Aha«, sage ich. »Okay.« Im Merrimack Valley ist das gesamte Internet seit Ende Januar zunehmend unzuverlässig; irgendein anarchistisches Kollektiv hat aus unklaren Motiven heraus eine Koppelstelle im Süden von Vermont angegriffen, und bisher hat man es noch nicht geschafft, sie zu reparieren.
    Die Frau steht einfach da und sieht mich an. »Oh, Verzeihung – sind Sie Mr. Gompers’ Chefassistentin?«
    »Bitte.« Sie verdreht die Augen. »Sekretärin.«
    »Und wie heißen Sie?«
    Sie schweigt gerade lange genug, um mir klarzumachen, dass sie glaubt, sie könnte die Information für sich behalten, wenn sie wollte, dann sagt sie: »Eddes. Naomi Eddes.«
    Naomi Eddes. Ich stelle fest, dass sie nicht vollständig kahl ist, nicht ganz. Ihre Kopfhaut ist von einem durchscheinenden blonden Flaum überzogen, der weich, glatt und hübsch aussieht, wie elegante Auslegeware für eine Puppenstube.
    »Was dagegen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle, Ms. Eddes?«
    Sie antwortet nicht, aber sie geht auch nicht hinaus; sie steht einfach da und lässt mich nicht aus den Augen, während ich loslege. Sie arbeitet hier seit vier Jahren. Ja, Mr. Zell war schon da, als sie angefangen hat. Nein, sie hat ihn nicht gut gekannt. Sie bestätigt das Bild, das Gompers von Peter Zells Persönlichkeit gezeichnet hat: ein stiller, harter Arbeiter, der sich in Gesellschaft anderer Menschen unwohl fühlt – »ein wenig introvertiert«, sagt sie, und das gefällt mir. Sie erinnert sich an den Halloween-Vorfall, als Peter auf Theresa aus der Buchhaltung losgegangen ist, weiß aber nichts mehr davon, dass er anschließend wochenlang nicht ins Büro gekommen sein soll.
    »Aber um ganz ehrlich zu sein«, sagt sie, »ich bin nicht sicher, dass ich es bemerkt hätte, wenn er nicht da gewesen wäre. Wie gesagt, wir standen uns nicht so nah.« Ihre Miene wird weicher, und für einen Sekundenbruchteil könnte ich schwören, dass sie Tränen wegblinzelt, aber es ist nur ein Sekundenbruchteil, dann trägt sie wieder ihre übliche ausdruckslose Miene zur Schau. »Aber er war sehr nett. Ein richtig netter Kerl.«
    »Würden Sie sagen, er war deprimiert?«
    »Deprimiert?« Sie lächelt leise, ironisch. »Sind wir nicht alle deprimiert, Detective? Angesichts dieses Damoklesschwerts, das auf uns herabsaust? Sind Sie nicht deprimiert?«
    Ich antworte nicht, aber mir gefällt ihre Formulierung, angesichts dieses Damoklesschwerts, das auf uns herabsaust . Besser als Gompers’ »dieser ganze Wahnsinn«, besser als McGullys »Riesenfrikadelle«.
    »Haben Sie zufällig bemerkt, Ms. Eddes, wann oder mit wem Mr. Zell gestern das Büro verlassen hat?«
    »Nein.« Ihre Tonlage sinkt um ein halbes Register, und sie drückt das Kinn an die Brust. »Ich habe nicht bemerkt, wann oder mit wem er gestern das Büro verlassen hat.«
    Einen Moment lang bin ich verdutzt, und als ich endlich merke, dass sie mich mit ihrem plötzlichen pseudo-ernsten Tonfall auf den Arm nimmt, spricht sie schon mit ihrer normalen Stimme weiter. »Ich bin gestern selber schon früh gegangen, so gegen drei. Heutzutage nehmen wir’s mit den Arbeitszeiten nicht mehr so genau. Aber Peter war definitiv noch da, als ich ging. Ich weiß noch, dass ich ihm zum Abschied zugewinkt habe.«
    Plötzlich steht mir ein lebhaftes Bild von Peter Zell vor Augen, wie er gestern Nachmittag um drei Uhr die schöne, selbstbeherrschte Sekretärin seines Chefs nach Hause gehen sieht. Sie winkt ihm freundlich und gleichgültig zu, und Zell nickt nervös, über seinen Schreibtisch gebeugt, und schiebt die Brille auf der Nase nach oben.
    »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen«, sagt Naomi Eddes abrupt, »ich muss wieder an die Arbeit.«
    »Natürlich.« Ich nicke höflich und denke: Ich habe dich nicht hereingebeten. Ich habe dich nicht
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