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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition)
Autoren: Ben Winters
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einer Reihe von Messingbriefkästen; der hundertjährige Wachmann, der mich von seinem Sitzplatz aus prüfend mustert. Das also war der morgendliche Anblick, mit dem mein Versicherungsmensch tagein, tagaus sein Berufsleben begann. Als s ich die Fahrstuhltür knarrend öffnet, steigt mir eine Wolk e abgestandener Luft in die Nase. Nichts hier unten in der Lobby, was gegen Selbstmord spräche.
    Peter Zells Chef heißt Theodore Gompers, ein blasser Typ mit Hängebacken in einem blauen Tuchanzug, und er wirkt nicht im Geringsten überrascht, als ich ihm die Nachricht überbringe.
    »Zell, hm? Tja, wirklich schade. Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?«
    »Nein, danke.«
    »Was für ein Wetter, hm?«
    »Jep.«
    Wir sind in seinem Büro, und er trinkt Gin aus einem niedrigen, viereckigen Glas, reibt sich geistesabwesend mit der flachen Hand übers Kinn und schaut durch ein großes Fenster in den Schnee hinaus, der auf den Eagle Square fällt. »Viele geben dem Asteroiden die Schuld an dem ganzen Schnee. Haben Sie auch schon gehört, oder?« Gompers redet leise, nachdenklich, den Blick auf die Straßen draußen gerichtet. »Stimmt aber nicht. Das Ding ist noch 450 Millionen Kilometer entfernt. Zu weit, um unser Wetter zu beeinflussen. Wird’s auch nie tun.«
    »Jep.«
    »Beziehungsweise erst hinterher. Ist ja klar.« Er seufzt und dreht den Kopf langsam zu mir, wie eine Kuh. »Im Grunde verstehen die Leute das alles nicht, wissen Sie?«
    »Da haben Sie bestimmt recht«, sage ich und warte geduldig mit meinem blauen Buch und einem Kuli. »Können Sie mir etwas über Peter Zell erzählen?«
    Gompers nippt an seinem Gin. »Da gibt’s eigentlich nicht besonders viel zu erzählen. Der Bursche war ein geborener Aktuar, so viel steht fest.«
    »Ein geborener Aktuar?«
    »Ja. Ich habe auch in der Versicherungsmathematik angefangen, Abschluss in Statistik und so weiter. Aber dann bin ich in den Vertrieb gegangen, und irgendwann hat’s mich sozusagen ins Management verschlagen, und da bin ich geblieben.« Er breitet die Hände in einer Geste aus, die das ganze Büro umfasst, und lächelt matt. »Aber Peter ist nirgends hingegangen. Das muss nicht unbedingt heißen, dass es schlecht ist, aber er ist nirgends hingegangen.«
    Ich nicke und kritzele Notizen in mein Buch, während Gompers mit seinem glasigen Gemurmel fortfährt. Zell war offenbar so eine Art Genie der Versicherungsmathematik; er besaß eine beinahe übernatürliche Fähigkeit, lange Kolonnen demografischer Daten durchzusehen und präzise Schlüsse über Risiken und Chancen zu ziehen. Außerdem hört es sich an, als wäre er fast krankhaft schüchtern gewesen: Er lief mit gesenktem Blick herum, murmelte »Hallo« und auf Nachfrage »Alles okay«, saß bei Mitarbeiterbesprechungen weit hinten und schaute auf seine Hände.
    »Und nach diesen Besprechungen war er immer als Erster draußen«, sagt Gompers. »Man hatte den Eindruck, dass er sich an seinem Schreibtisch mit seinem Taschenrechner und seinen Statistik-Mappen viel wohler fühlte, als wenn er mit uns übrigen Menschen zusammen war.«
    Ich kritzele vor mich hin, nicke ermutigend und verständnisvoll, damit Gompers weiterredet. Ich glaube, ich fange an, diesen Burschen richtig zu mögen, diesen Peter Anthony Zell. Ich mag Leute, die ihre Arbeit gern machen.
    »Aber mir ist aufgefallen, dass ihn dieser ganze Wahnsinn anscheinend ziemlich kaltgelassen hat. Sogar am Anfang, als alles losging.«
    Gompers legt den Kopf in den Nacken, schaut zum Fenster, zum Himmel, und ich vermute, mit »als alles losging« meint er den Frühsommer des letzten Jahres, als der Asteroid erst so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drang. Er war schon im April von Wissenschaftlern entdeckt worden, aber in diesen ersten paar Monaten tauchte er nur in der Rubrik »Skurriles aus aller Welt« und in lustigen Schlagzeilen auf der Yahoo!-Homepage auf. »Tod von oben?!« und »Der Himmel stürzt ein!« – solche Sachen. Für die meisten Leute wurde die Gefahr jedoch Anfang Juni real, als die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags auf fünf Prozent stieg; als Maias Umfang auf zwischen viereinhalb und sieben Kilometer geschätzt wurde.
    »Na ja, Sie erinnern sich bestimmt: Leute drehen durch, sitzen weinend an ihren Schreibtischen. Aber wie gesagt, Zell hält einfach den Kopf gesenkt und macht sein Ding. Als dächte er, der Asteroid käme zu allen außer ihm.«
    »Und wie war’s in letzter Zeit? Irgendwelche Veränderungen?
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