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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gemacht.
    »Nach Hause«, befahl Brinse dem jungen Arzt. »Wir müssen anrufen.«
    In Tanescu gab es vier Telefonleitungen. Eine hatte der Arzt, zwei die Miliz und das Militär und eine der Dorfvorsteher. Eine fünfte Leitung, die der Pope haben wollte, wurde von Bacau abgelehnt mit der Begründung: Mit Gott wird nicht telefoniert.
    Oberst Sumjow wußte sofort, was Georghe Brinse wollte, als er dessen Stimme im Telefon hörte. Er fragte auch nicht lange und ging nicht auf die einleitenden Worte Brinses ein, der darum bat, bei der Volksapotheke die Freigabe von Penicillin zu erwirken. Er sagte grob:
    »Ja! Michael Peters ist aus dem Lager entlassen. Er sitzt bei mir in Zelle vier, weil er behauptet, die ›Prawda‹ lügt!«
    »Soll er lügen?« fragte Brinse zurück. Sumjow verzog das Gesicht.
    »Er will zurück nach Deutschland!«
    »Ist das nicht sein Recht? Wollen Sie nicht zurück zu Mütterchen Rußland?«
    Wieder verzog Sumjow das Gesicht, als tränke er Essig. Wenn er kein alter, gebrechlicher Mann wäre, müßte man ihn verhaften und isolieren lassen. Er ist gefährlich, weil er so wahr spricht.
    »Er wird kommen, Ihr lieber Mihai!« sagte Sumjow grob. »Warten Sie doch … seien Sie froh, daß er überhaupt wiederkommt.«
    »Für seine Liebe ist noch keiner bestraft worden.«
    »Er trug die falsche Uniform!« schrie Sumjow.
    »Das ist eine reine Ansichtssache.«
    Oberst Sumjow warf den Telefonhörer auf die Gabel. Man sollte so mit einem sowjetischen Offizier nicht reden dürfen, sagte er sich. Man sollte wirklich ein Exempel statuieren. Aber wird man nicht einen einzigen Mann bestrafen, für den hundert oder tausend andere aufstehen?
    Am Abend wurde Michael Peters endgültig entlassen. Mit einem normalen Postwagen, der dreimal wöchentlich die Post und einige Zeitungen nach Tanescu brachte, kam er zurück. Von den wenigen Insassen nicht beachtet, vom Fahrer mißtrauisch betrachtet, weil sein Rumänisch so holprig klang.
    Er stieg auf dem Platz vor der Kirche aus und stand dann allein in der Dunkelheit, während der Bus weiterfuhr zur Militärstation. Niemand war auf der Straße, die Kirche war dunkel. Hinter den Vorhängen des Popenhauses sah er schwachen Lichtschein. Er arbeitet an der Predigt, dachte Michael. Heute ist Freitag.
    Langsam ging er zum Haus der Patrascus. Er genoß jeden Schritt. Frei, dachte er. Ich kann frei gehen, wohin ich will. Kein Gewehrkolben treibt mich in eine andere Richtung, keine Stimme schreit in meinem Nacken. »Dawai! Dawai!«, kein Polkatin steht da und berechnet die Tagesleistung. Es ist alles wie früher … die Wälder rauschen, die Lämmerherden stehen in den offenen Ställen und blöken, hinter den Fenstern der Hütten geistert das Licht durch die blinden Scheiben, die halbwilden Hunde streunen wie Wölfe durchs Dorf … nur uralt bin ich geworden. So alt und müde, daß ich die letzten Jahre meiner Freiheit schlafen möchte …
    Er blieb vor dem Haus der Patrascus stehen und betrachtete es wie einen wiedergefundenen Schatz. Seit 1945 hatte er dort gelebt … dort oben, unter dem Dach, in einem Verschlag, der nicht hoch genug zum Stehen war. Heute schrieb man das Jahr – Michael Peters wischte sich über die Augen. Seine Hände zitterten. Ein Viertel des Lebens wie ein Tier gelebt … wer würde das jemals begreifen können?
    Er trat an das Zimmerfenster heran und sah durch die Scheibe hinein. Sonja stand am Herd und kochte. Das Feuer überflammte ihr schmal gewordenes Gesicht. Es war, als brenne sie. Fest drückte er sein Gesicht an die Scheibe … es mußte geknackt haben, denn Sonjas Kopf fuhr herum.
    Sie sahen sich an … starr, nach Atem ringend … Für einen Augenblick schloß er die Lider und glaubte, daß jetzt der Tod käme … der Tod des Glücks … Als er sie wieder öffnete, riß ihn Sonja vom Fenster fort. Er war so schwach, daß er strauchelte und in die Knie fiel. Kniend küßten sie sich, vor dem Haus, auf der Straße.
    Es gab keine Welt mehr für sie –
    Sechs Monate dauerte es, bis die Regierung in Bukarest die Erlaubnis erteilte, daß der Deutsche Michael Peters die Rumänin Sonja Patrascu heiraten durfte.
    Ein strenger Winter lag dazwischen, in denen die Wölfe aus den Bergen bis mitten ins Dorf kamen und die Kinder anfielen. Auf den Bergweiden hockten die Bären und brüllten vor Hunger. Der alte Brinse starb auch, kurz vor Weihnachten. So, wie über Nacht seine Beine nicht mehr wollten und für immer einschliefen, schlief auch sein Herz über
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