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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erkannt, daß du kein Spion bist und nur aus Liebe in Rumänien geblieben bist. Sonja hat uns überzeugt. Und der alte Brinse hat es bestätigt. Wir Russen sind da wie die Franzosen, Genosse … wenn von Liebe die Rede ist, werden wir weich.«
    »Wo ist Sonja?« fragte Michael leise. Seine Stimme schwankte. Sumjow blinzelte ihm zu.
    »Bereits in Tanescu. Jon Lupescu ist ein großer Mann geworden … und Rumänien ist souverän! Wir von der sowjetischen Armee sind ja nur zum Schutz da, damit die Imperialisten nicht auch noch den Balkan überrennen! Das hat man euch doch im Lager in den Schulungsstunden gesagt!?«
    Michael nickte. »Ja«, sagte er schwach. »Das hat man.«
    Unsere Schulungsstunden waren der Tod im Steinbruch, dachte er. Und wer Polkatin kennenlernte, wird die Sowjets nie vergessen.
    »Was willst du tun, wenn du wieder in Tanescu bist?« fragte Sumjow. Michael fuhr aus seinen Gedanken hoch.
    »Ich werde Sonja endlich heiraten können.«
    »Und dann?«
    »Dann will ich zurück nach Deutschland –«
    »Gefällt es dir nicht in Rumänien?«
    »Das haben Sie mich bei meiner Verhaftung schon gefragt.« Michael legte die Zigarette hin. Sie kratzte im Hals, sie erzeugte Übelkeit und Brechreiz. Er war es nicht gewohnt, zu rauchen. »Könnten Sie woanders leben als in Rußland?«
    Es war eine Frage, die Sumjow nicht beantwortete. Er dachte an die Kolchose, auf der er gearbeitet hatte, bevor er sich freiwillig zum Militär meldete. Er dachte an die Hütten bei Irkutsk, an den zerschlissenen Wollteppich, auf dem er bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr geschlafen hatte. In Dresden, in Leipzig, in Magdeburg und später in Berlin hatte er gesehen, daß der geringste Arbeiter sein Bett mit weichen Federn hatte, ein Radio, ein Sofa, einen Herd und keinen selbstgebauten Lehmofen, einen Schrank für die Kleider und keine Nägel hinter der Tür. Die Kinder wurden in kleinen Wagen gefahren und nicht, in einen Schal gehüllt, am Feldrand hingelegt. Er hatte dieses Leben mit unbändigem Staunen in sich aufgenommen. Er hatte es nicht begriffen, daß ein Strich auf der Landkarte, die man Grenze nannte, zwei Welten so gründlich trennen konnte. Und als er begriff, was er sah, als er Vergleiche zog, mußte er sich in seine bolschewistische Weltanschauung retten, um nicht sein russisches Herz aufzugeben.
    »Du wirst nicht nach Deutschland zurückkommen«, sagte Sumjow statt einer Antwort. »Deutschland ist kaputt! Was willst du da? Zu deinem Bauernhof? Auch der wird kaputt sein. Und dein Vater wird tot sein. Alles wird anders sein, Genosse. Deutschland hat einen Krieg verloren, wie noch nie ein Volk einen Krieg verloren hat.«
    »Seitdem sind vierzehn Jahre vergangen.«
    »Vierzehn Jahre sind nichts für ein Volk! Lies die ›Prawda‹, dort steht es! Mit Hilfe Amerikas hat Deutschland schon wieder Soldaten. Man träumt von einer Rache an Rußland! Man arbeitet Aufmarschpläne gegen uns aus … zwölf Millionen Tote waren nicht genug!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Michael leise.
    »Es steht in der ›Prawda‹!« schrie Sumjow. »Die ›Prawda‹ lügt nicht!«
    »Wer einmal diesen Krieg mitgemacht hat, kann keinen neuen herbeisehnen! Das gibt es nicht! Wer einmal im Lager III/M gewesen ist und Leutnant Polkatin kennt –«
    »Was ist mit Polkatin?!« fragte Sumjow lauernd.
    »Er demonstriert, was es heißt, verloren zu haben«, sagte Michael vorsichtig. Seine Hand tastete zur Stirnwunde. Die wenigen Minuten im Verbrennungsofen galten für Jahre. Sumjow sah wieder an die Decke.
    »In den deutschen KZs sind Millionen Juden umgebracht worden!«
    Michael nickte. »Man hat es mir gesagt. Ich war siebzehn Jahre, als ich eingezogen wurde. Mit siebzehn Jahren sieht man nur seine eigene, kleine Welt.«
    Oberst Sumjow drückte auf einen Klingelknopf. Zwei stämmige Sowjetsoldaten mit aufgepflanztem Bajonett betraten das Zimmer.
    »Abführen!« befahl er. »Zelle vier.«
    Er sah Michael nicht an, als er hinausgeführt wurde, mit einigen Kolbenstößen in den Rücken, weil er zögerte und noch etwas sagen wollte. Erst als er allein war, fiel die Starrheit von Sumjow ab. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und stützte den Kopf in beide Hände. Hinter seinem Kopf, an der Wand, war das große Bild Stalins ausgewechselt worden. Das runde, lächelnde Bauerngesicht Chruschtschows glänzte auf die Besucher hinab.
    Man soll nicht denken, sagte sich Sumjow. Das Leben ist kurz, Brüderchen, so wahnsinnig kurz. Und man kann sich das
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