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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schien ungläubig und von der Antwort unbefriedigt. »Bekannte in Moskau?«
    »Nein«, sagte Michael. »Überhaupt nicht.«
    »Gar keine Bekannte in der Kommunistischen Partei?«
    »Ich habe nie mit ihr zu tun gehabt. Ich war ein Kind, als ich eingezogen wurde. Jetzt bin ich dreißig Jahre … und ihr habt mich wieder zum Kind gemacht.«
    Der Schreiber hob die Augenbrauen und sah zu Polkatin hinüber. Daß der Leutnant nicht seine Pistole zog und den verrückten Deutschen erschoß, war höchst verwunderlich. Trotz des Schreibens, das seit gestern bei den Akten lag.
    »Sie haben Gönner in der Partei«, sagte Polkatin mißmutig. »Ein Schreiben ist gekommen. Von Bukarest über Oberst Sumjow … den kennen Sie aber?«
    »Ja –«, sagte Michael gedehnt.
    »Und einen Jon Lupescu?«
    »Er hat mich verhaftet.«
    »Er ist jetzt Chef des südlichen Sicherheitsdienstes in Rumänien. Er hat für Sie eine Amnestie durchgesetzt.«
    »Eine … eine …«, stotterte Michael. Er ging zwei Schritte zurück und lehnte sich an die Barackenwand. Er wäre umgefallen, wenn er frei im Zimmer gestanden hätte.
    »Und auch noch eine für eine … eine Sonja Patrascu.« Polkatin sah von dem Schreiben hoch. »Wer ist das?«
    »Meine … meine Frau …«, stammelte Michael.
    »Deine Frau? Eine Rumänin?«
    Michael nickte. Seine Kehle war zugeschnürt. Amnestie! durchjagte es ihn. Amnestie bedeutet doch … frei! Frei! Frei!! Sonja und er – frei! Mein Gott, was ist das noch – Freiheit? Wie sieht sie aus? Wie faßt sie sich an? Kann man sie riechen, schmecken, hören? Freiheit – Ist es das: Man kann hingehen, wohin man will? Man kann etwas tun, ohne dazu gezwungen worden zu sein? Man kann essen und trinken, ohne dafür zehn Stunden Steine zu schleppen? Man kann in einen Wald gehen, ohne Stämme aus ihm hinausschleppen zu müssen? Man kann … man kann … ist das Freiheit?!
    »Sie sollen morgen entlassen werden«, sagte Leutnant Polkatin, als spreche er etwas Ekelerregendes aus. »Irgendwie sind Sie zu einer politischen Figur geworden. Plötzlich interessiert sich alle Welt für Sie! Sie müssen, bevor Sie entlassen werden, einen Zettel unterschreiben. So will man es in Bukarest. Für die Propaganda, wissen Sie –«
    »Ich … ich unterschreibe alles«, stotterte Michael.
    Frei … frei … hämmerte es durch seinen Kopf. Sonja und ich …
    Michael beugte sich über das Papier. Die Erklärung war in russischer Sprache geschrieben. Er konnte Russisch verstehen … aber lesen konnte er die Schrift nicht. Es konnte auch sein Todesurteil sein, was er jetzt unterschreiben sollte.
    Kniend unterschrieb Michael. Seine Hand zitterte mit dem Bleistift über das Papier.
    Am Abend wurde Michael Peters aus russischer Gefangenschaft, aus dem Lager III/M entlassen.
    Ein Jeep holte Michael gegen Abend ab. Leutnant Polkatin begleitete ihn selbst bis vor das Lagertor und klopfte ihm unter den Augen des sowjetischen Hauptmanns, der im Jeep saß, auf die Schulter.
    »Es war doch schön bei uns, Genosse«, sagte Polkatin breit. »Schade, daß wir uns trennen müssen, was?«
    »Schade«, sagte Michael gepreßt.
    »Es herrscht hier eine so gute Kameradschaft, Genosse Hauptmann«, sagte Polkatin und half Michael in den Jeep steigen. »Die meisten wollen gar nicht wieder weg.«
    Michael biß die Zähne zusammen und schwieg. In wenigen Stunden sind wir wieder zusammen, Sonja und ich … und dann wollen wir alles vergessen. Wir müssen es, denn wie könnte man sonst weiterleben?
    Als der Jeep abfuhr, stand Leutnant Polkatin mit zusammengekniffenen Augen am Lagertor und winkte. Hinter ihm, am Stacheldraht der Baracken, starrten die toten Augen vieler lebender Totenköpfe dem kleinen Wagen nach, der hüpfend über die holprige Straße in die Freiheit fuhr. Wie eine einsame große Fliege sah er aus.
    In Bacau stand Michael zwei Stunden später wieder vor Oberst Boris Petrowitsch Sumjow.
    Sumjow war freundlich, bot ihm eine Zigarette an, ließ ein Glas rumänischen Landrotwein kommen und unterhielt sich mit ihm allein. Aber es war eine gefährliche Unterhaltung. Hinter der Menschenfreundlichkeit lauerte die Tortur.
    »Das war eine kurze Gefangenschaft«, sagte Sumjow und blies den Rauch seiner Zigarette gegen die Decke. Er sah dabei Michael nicht an. Er fragte auch nicht, woher das große Pflaster auf der Stirn kam. Die unterschriebenen Erklärungen waren dem Begleitoffizier mitgegeben worden und lagen vor Sumjow auf dem Schreibtisch. Sie genügten. »Wir haben
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