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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gläubig.
    »Es ist nur ein Hinhalten. Ich war so glücklich, als ich im Bett lag, und die Welt war so weit weg. Ich hörte die Stimmen nur wie ein feines, fernes Singen … ich sah die Menschen wie hinter dichten Schleiern, ich war so leicht, daß ich glaubte, ich brauche nur die Arme auf und ab zu bewegen und könnte davonfliegen. Meine ganze Sehnsucht war, zu sterben.«
    »Und an mich hast du nicht gedacht?«
    Er schüttelte den Kopf und schwieg. Er schämte sich. Nein, an Sonja hatte er nicht gedacht. Merkwürdig war das … in all den Wochen hatte er nur den Gedanken ans Sterben, aber dann fiel alles von ihm ab, selbst die Liebe zu Sonja, und es blieb allein das Glück übrig, selige Ruhe zu erwarten.
    Der sowjetische Unteroffizier kam zurück. Er riß Michael und Sonja aus ihren Gedanken. Mit dem Fuße stieß er den liegenden Michael an.
    »Genug!« brummte der Unteroffizier. Er wies mit dem Kopf auf den Wagen. Der Fahrer hatte den Motor wieder angelassen und pfiff auf den Fingern zu Sonja hinüber. »Steig auf, Täubchen, und komm morgen wieder! Dein Mihai läuft nicht weg. Er ist zum Teeaufpasser bestellt. Der wird sich pflegen können, der Junge. Los, los, sonst wird das Freundchen im Wagen ungeduldig.«
    Mühsam stellte sich Michael auf die Beine. Wieder brannten die Kniekehlen und Schenkel, als brieten sie in kochendem Öl. Aber er biß die Zähne ganz fest aufeinander, stützte sich auf Sonjas Schulter und humpelte zum Wagen. Noch einmal küßten sie sich. Michael umklammerte ihre Schulter, daß seine Nägel durch den dicken Stoff von Kleid und Schal in ihr Fleisch drangen.
    »Du kommst morgen wieder«, stammelte er. Der Gedanke, er könne sie nicht wiedersehen, machte ihn wieder schwindlig vor Schmerz.
    »Ja«, sagte sie leise.
    »Ich werde die Stunden zählen. Ich werde alles auf mich nehmen, um dich wiederzusehen.«
    »Ja.«
    »Du wirst tapfer sein, Sonja … Niemand, niemand kann uns trennen!«
    »Nein.«
    »Du kommst bestimmt wieder?«
    »Ja.«
    »Mein ganzes Leben ist nur Liebe zu dir, Sonja …«
    »Ja.«
    Sie konnte nichts weiter sagen als ja und nein. Sie wußte, daß es durchaus nicht so sicher war, ihn morgen wiederzusehen. Jeden Tag wurden andere Mädchen mit den Kübeln ausgeschickt. Und immer zu anderen Lagern. Es konnte sein, daß sie morgen zwanzig Kilometer weiter in einem Waldlager die Kessel vom Wagen hob. Er durfte es nicht wissen, er würde zusammenbrechen. Er war ja kein Mensch mehr … er war ja nur noch ein Bündel Lumpen und ein schmales Knochengestell, aus dem ein verzerrter Mund Laute stöhnte und zwei große Augen starrten, als seien sie aus Glas, in die allein die Sonne Reflexe des Lebens zaubert.
    Hochaufgerichtet stand Michael auf der neuen Straße, bis der Wagen in der Ferne wieder in einer Staubwolke versank. Dann schleppte er sich zurück zu den Teekanistern, hockte sich auf einen Stein und legte das Gesicht in die Hände.
    Er weinte.
    Und alle wunderten sich, woher der Körper noch die Flüssigkeit nahm, Tränen zu erzeugen.
    Zwei Wochen gab Michael Tee an die Kolonnen der Hoffnungslosen aus. Seine Hände und Schultern heilten wieder. Die Aufgabe, den Tee für die letzte Ausgabe anzuwärmen, benötigte keine großen Körperkräfte. Er trug Holzscheite heran, baute aus Steinen einen großen Ofen und heizte ihn. Die Kannen stellte er dann auf die glühenden Steine. So war der Tee immer heiß, wenn die Kolonnen, halb kriechend, an ihm vorbeizogen und mit zitternden Händen ihre blauen Blechbecher hinhielten.
    Eines Tages ließ Leutnant Polkatin Michael zu sich rufen.
    »Entweder ist das eine Schweinerei, oder du bekommst einen noch besseren Posten«, sagte einer der Stubengenossen zu Michael. »Auf jeden Fall: Leb wohl, Kumpel!«
    Leutnant Polkatin empfing Michael mit einem mißmutigen Gesicht. Das bedeutete nichts Gutes. Auch der Schreiber des Lagers, ein älterer, schwerverwundeter Soldat, der nicht entlassen worden war, weil er einen zur Schulung der Truppe abkommandierten Kommissar geschlagen hatte, als er ihn bei seinem Mädchen entdeckte, hockte mit verschlossenem Gesicht hinter seinen Aktenmappen und Schnellheftern.
    »Peters, Michael, geboren 1926 … stimmt das?« fragte Polkatin. Michael nickte erstaunt.
    »Ja.«
    »Haben Sie gute Bekannte in Bukarest?«
    »Nein. Ich kenne niemanden in Rumänien als die Leute in Tanescu. Sonja, Mihai Patrascu, Georghe Brinse …«
    »Bekannt, bekannt«, winkte Leutnant Polkatin ab. Er betrachtete Michael forschend und wie es
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