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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nacht ein. Am Morgen, als der junge Arzt kam, um Brinse in den Rollstuhl zu heben, lag er auf dem Rücken, die Hände gefaltet, und lächelte. Er war schon kalt. So, wie man ihn fand, begrub man ihn, nur einen Strauß getrockneter Blumen steckte man zwischen seine starren Finger.
    Fast tausend Menschen nahmen an dem Begräbnis teil. Aus dem Süden kam Kommissar Jon Lupescu und hielt eine Rede, aus Bacau kam Oberst Boris Petrowitsch Sumjow und brachte – entgegen aller kommunistischen Ideologie – einen Kranz mit. Es war seine letzte Handlung … er hatte bereits seine Abberufung nach Moskau in der Tasche. Als Lehrer an der Kriegsschule. Ein Sprung aufwärts, der nur wenigen glückt. Ein Sprung, der selbst die kommunistische Weltanschauung Sumjows wieder festigte.
    Im Frühjahr 1959 endlich kam die Erlaubnis, zu heiraten. Es war ein Festtag für das ganze Dorf.
    Aus den Laden wurden die alten Trachten hervorgeholt. Die weißen Festhemden mit den erweiterten Ärmeln, bestickt und verziert mit Perlen und bunten Bändern. Die Bauchbänder mit Troddeln und Quasten wurden umgebunden, die großen, weichen Hüte abgestaubt. Die Frauen bestickten ihre weiten Röcke neu mit bunten Glasperlen … fünf Mädchen arbeiteten an der Hochzeitskrone für Sonja, einer Tiara aus Bändern, Perlen, Glassteinen und feinstem Wollgewebe.
    Mutter Anna hatte den Küchenplan aufgestellt. Sechs erfahrene Frauen kochten. Es sollte Sarmali geben, eine Art Kohlroulade. Dazu brauchte man feingeschnittenes Rind- oder Schweinefleisch, das in Sauerkrautlappen eingewickelt wird, von allen Seiten, so daß es ein großer fleischgefüllter Kloß wird. Dieser wird dann in einen Tonkrug gelegt und über einem offenen Feuer langsam geschmort.
    Aber auch Braten gab es, am Spieß geröstet, Salate, Käse, heiße Würste, eine Gemüsesuppe, gekochte Pflaumen, mit Branntwein angerichtet.
    Mihai Patrascu sorgte für die Getränke. Er verkaufte zwei Rinder in Bacau und brachte Wein mit. Süßen weißen Wein aus der Krim, roten Wein aus den Rebengärten von Fundeni, scharfen Pflaumenschnaps und einen Kümmel, der aus der Türkei kommen sollte. Er hatte an nichts gespart.
    Die Sonne schien herrlich über die noch mit Schnee bedeckten Berghänge, als die Familie Patrascu mit neun anderen Familien, die zur engen Freundschaft gehörten, in offenen Wagen nach Bacau fuhren, um vor dem Distrikt-Chef die standesamtliche Trauung vorzunehmen. Anschließend sollte die kirchliche Trauung stattfinden … die kleine Kirche wurde festlich geschmückt, mit den ersten Wiesenblumen wurde der Eingang bestreut. Der Pope legte sein schönstes Meßgewand an, das er sonst nur zu Ostern aus dem Schrank nahm.
    Es war eine herrliche Fahrt. Im ersten Wagen saß Mihai Patrascu, wie ein König. Er hatte seine noch immer bärenstarken Arme um Anna gelegt. Sie weinte still vor sich hin, und zum erstenmal verstand Mihai, warum Frauen weinen müssen, wenn sie glücklich sind. Im zweiten Wagen saßen Michael und Sonja. Sie trug ihre schwere Brautkrone mit starrem Hals. Um ihre Lippen war ein seliges Lächeln. Sie sah zerbrechlich aus wie chinesisches Porzellan, Michael hatte die Kleidung rumänischer Brautmänner angelegt. Er sah ernst vor sich hin, in seiner Hand die Hand Sonjas haltend, und dachte immer nur: Warum hat das Mutter nicht erlebt? Warum kann das Vater nicht sehen? Warum mußte das alles so kommen? Ob Sonja jemals Deutschland sehen wird? Deutschland – bei uns zu Hause stehen jetzt die bunten Krokusse auf den Wiesen …
    Er lehnte sich zurück und sah zur Seite auf Sonja. Sie hatte den Kopf, immer mit steifem Nacken, damit die Hochzeitskrone nicht von ihren Haaren rutschte, zu ihm gewandt und lächelte ihn glücklich an.
    »Ist das Leben nicht schön?« fragte sie leise. »Jetzt haben wir alles, was wir uns gewünscht haben, Mihai!«
    »Ja, alles«, nickte er.
    Alles, dachte er. Und dort drüben, unendlich weit für mich, liegt Deutschland. Ich werde es nie wiedersehen. Ich werde in Tanescu als rumänischer Bauer sterben … Aber ich habe Sonja, und darum ist auch dieses Leben schön –
    Vor ihnen tauchte Bacau auf. Die Menschen winkten den Hochzeitswagen zu.
    »Noroc ti Sanatate!« riefen sie (Glück und Gesundheit!).
    Und der alte Mihai Patrascu brüllte mit geschwellter Brust zurück: »Und ich wünsche euch des Himmels Segen, eine gute Frau, viele Kinder und ein langes Leben!«
    Am späten Nachmittag knieten sie dann in der Kirche vor dem Popen. Mutter Anna weinte noch immer.
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