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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesoffen, und dann war er verschwunden. Das halbe Dorf hatte ihn gesucht. Sonja fand ihn endlich am Mittag. Er lag schlafend in einer Pfütze am Maisfeld, eine Flasche Kümmel auf der Brust. Seit diesem Tag hustete er so, daß es seinen Körper durchschüttelte. »Mir fliegt noch eines Tages der Magen aus den Ohren«, sagte er manchmal, wenn er eine Viertelstunde lang gekeucht und nach Atem gerungen hatte. Aber er ging nicht zum Arzt nach Bacau, und den jungen Arzt, der die Praxis Brinses übernommen hatte, sah er nicht für voll an.
    »Der alte Georghe … ja«, sagte Patrascu. »Der sah einen an, legte Kräuter auf die Brust, und nach drei Tagen konnte man laufen wie ein Fohlen! Aber diese neuen Mediziner! Die sprechen lateinisch, lassen einen Pillen schlucken, und wenn sie nicht helfen, heißt es: Der Herd sitzt woanders, versuchen wir's mit dem da. Und wieder ist's ein Pillchen!«
    Der Kommissar aus Bukarest sah distinguiert auf den spuckenden Bauern. »Wer??« fragte er noch einmal, besonders laut.
    »Was willst du von ihm?« fragte Patrascu zwischen zwei Hustenröchlern. Der Kommissar verzog die Nase. Er duzt mich, dachte er peinlich berührt. Dieses Dreckschwein duzt mich! Wenn es nicht so dringlich und staatswichtig wäre, hätte ich meinen Sekretär geschickt.
    »Es handelt sich um eine politische Sache. Ich bin Staatskommissar Iwan Solempu aus Bukarest.«
    »Unsere Politik sind die Felder, Herr!« sagte der alte Patrascu lauernd. »Wir rackern uns hier ab, damit alle etwas zu fressen haben!«
    »Ich will mich nicht mit Ihnen über Ihre Felder unterhalten, sondern Michael Peters sprechen.« Kommissar Solempu sah sich wieder um. Er war allein mit Patrascu. Der Alte erhob sich jetzt und kam langsam näher. Wie ein Bär, dachte Solempu. Er wich etwas zurück und war froh, als er die Tür im Rücken spürte.
    »Was willst du von Mihai?« fragte der Alte.
    »Ich komme vom Außenministerium. Ich habe ihm Fragen zu stellen. Er stand in der Zeitung …«
    »Ist das seine Schuld?«
    »Aus Deutschland kam eine Anfrage …«
    »Das wird ihn freuen«, sagte der alte Patrascu zögernd. Er sagte es, weil es wahr war, aber es schmerzte ihn selbst, daran zu denken. Er wird Sonja mitnehmen, mein Täubchen Sonja. Und was bin ich ohne mein Täubchen? Was ist das Leben ohne Sonjascha?
    »Er will also doch nach Deutschland? Es stimmt, was die westlichen Imperialisten schreiben?!«
    »Er wollte immer nach Deutschland, Genosse.«
    »So? Das wollte er?! Und warum?«
    »Weil er eben Deutscher ist! Gingen Sie nicht nach Rumänien zurück, Genosse?«
    Solempu verzichtete auf eine Antwort. Auf solche Fragen schweigt man am besten. Vor der Revolution, da war Reden Gold wert, weil es die Aufmerksamkeit auf einen lenkte … jetzt war Schweigen nicht aufzuwiegen, weil es den Blick wegwandte. So ändern sich die Zeiten … man muß nur immer sehen, daß man Rückenwind hat.
    »Wo ist nun dieser Mihai?« fragte er statt dessen ungeduldig. »Er soll einen Fragebogen ausfüllen.«
    »In der Scheune!«
    »Holen Sie ihn!«
    »Zu einem freien Bauern geht man!«
    Iwan Solempu hob die Schultern. Er verließ das Haus, ging zur Scheune und fand Michael und Sonja beim Aufschichten von getrockneten Tabakblättern der vorjährigen Ernte.
    Michael sah ihm kritisch entgegen. Er hat schon den gleichen Blick wie der Alte, dachte Solempu. Sie sind wie Wölfe im Rudel. Er grüßte höflich und trat an Michael heran.
    »Genosse Peters, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ich habe Ihnen aus Bukarest eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Und einen Fragebogen bringe ich mit.«
    »Fragebogen sind in meiner Erinnerung durchaus nicht freudig«, sagte Michael dumpf. Er legte den Arm um Sonjas Schulter, als sie sich herandrängte.
    »Lassen wir die Vergangenheit, ja?« sagte Solempu großzügig. Wenn er jetzt ja sagt, dachte er gemein, habe ich eine Aussage, daß er nicht mehr an Deutschland denkt. So fängt man Mücken. Genosse Deutscher! Politische Mücken, die nachher in der Propaganda empfindlich stechen können.
    »Ist das die freudige Nachricht? Die Vergangenheit hat mich um meine Jugend betrogen und mir das Vaterland geraubt …«
    »Ihr Vaterland sollte Rumänien sein …«
    »Jetzt ja.«
    »Es ist Ihr Vaterland geworden?!«
    »Warum fragen Sie?« Michael hörte aus Solempus Stimme etwas heraus, was ihn vorsichtig machte. »Ich habe meine Frau, ich habe einen Bauernhof, ich bin frei … ja, das alles verdanke ich Rumänien. Aber ich bin ein Deutscher … auch heute
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