Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
noch! Ich habe es nie abgeleugnet. Und wenn es ginge, würde ich zurückgehen nach Deutschland.«
    »Warum?«
    Aber ehe Michael eine Antwort geben konnte, sprach Solempu schnell weiter. Er wußte, daß er wieder die Frage hören würde, die der alte Patrascu schon gestellt hatte. Es lag ja auf der Hand, und im übrigen war es unverständlich, daß man in Bukarest um das Dableiben oder Weggehen eines Bauernjungen ein solches Aufheben machte.
    »Ich habe Ihnen mitzuteilen«, sagte Solempu steif, »daß die rumänische Regierung bereit ist, Sie nach Deutschland zu entlassen, wenn Sie formell einen Antrag stellen.«
    »Mihai …«, sagte Sonja leise. Sie umklammerte seine Hand. Freude und Angst waren in ihrer Stimme. Michael starrte den Kommissar entgeistert an. Er schien nicht zu begreifen, was er gehört hatte.
    »Ich kann – ich – Deutschland? Aber wieso denn?«
    »Es sind diplomatische Dinge, die Sie nichts angehen. Wenn Sie wollen –«
    »Ob ich will?«
    »Es wäre uns lieber, wenn Sie ablehnten. Sie haben hier alles, was Sie brauchen! Wir sind sogar bereit, Ihnen einen Maschinenpark einzurichten und Ihren Hof zur Distrikt-Kolchose zu machen. Wir brauchen noch eine Station für das südliche Gebiet.«
    Solempu holte aus seiner Aktentasche zwei Bogen Papier, eng mit Schreibmaschinenschrift beschrieben, und legte sie auf den Deckel der Futterkiste. Dann nahm er einen Füllfederhalter aus der Rocktasche und schraubte ihn auf.
    »Das eine ist Ihr Antrag, in Rumänien zu bleiben … das andere Ihr Antrag, nach Deutschland zurückzukommen. Nach Ostdeutschland.«
    »Meine Eltern wohnen in Westdeutschland!«
    »Deutschland ist Deutschland für uns!« Solempu lächelte verbindlich und kalt. »Wir werden Sie nach Deutschland entlassen … aber Sie werden nie die Möglichkeit haben, in den imperialistischen Westen zu kommen! Sie werden in Ihrer sogenannten ›Heimat‹ fremder sein als ein Ausgestoßener. Sie werden sich nach Rumänien zurücksehnen … nach den Maisfeldern, den Bergweiden, den Karpatenwäldern, den Obstgärten, dem Frieden.«
    Michael Peters stand vor der Futterkiste und starrte die beiden Blätter an. Papier, ein Bogen nur, das sein ganzes Leben entschied. Ein Stück Papier, das man zerknüllen und wegwerfen konnte, wurde zum Schicksal.
    »Muß es jetzt sein?« fragte er leise. »Gerade jetzt – und hier?«
    »Ja, es muß«, sagte Solempu steif und hart. »Hochherzige Angebote sind nicht dazu da, daß man sie nachträgt oder' mit ihnen hausieren geht. Sie haben die Möglichkeit, Bürger eines freien kommunistischen Landes zu werden … oder ein rückkehrender Soldat, der – wenn er wirklich wieder in den Westen kommt – erneut Soldat werden muß, um den Revanchisten zu dienen und die freie Welt anzugreifen.«
    »Ich brauche Bedenkzeit. Ich muß mit meiner Frau …«
    Solempu winkte ab. »Sie haben sechzehn Jahre lang genug Zeit zum Nachdenken gehabt!«
    Michael nickte. »Es ist gut, daß Sie mich an die sechzehn Jahre erinnern. Ich war dabei, sie zu vergessen. Aber Sie haben recht – da hatte ich Zeit genug, zu denken. Und was ich gedacht habe, möchte ich keinem sagen, weil es keiner jemals begreifen würde, was es heißt, den vierten Teil seines Lebens unter einem Dach verborgen zu leben.« Er sah auf die auf der Futterkiste liegenden Papiere. »Welches ist der Antrag?«
    »Nach Rumänien?«
    »Nach Deutschland!« schrie Michael.
    »Dort!« Solempu tippte mit dem Zeigefinger auf ein Papier. Sein Gesicht war ausdruckslos. Der Fall war abgeschlossen. In Kürze würde man diesen Deutschen abschieben. Aber bevor er Rumänien verließ, sollte er noch lernen, was es hieß, den Kommunismus zu verraten.
    Michael nahm den Federhalter. Da griff Sonja zu und hielt seine Hand fest. In ihren Augen stand blanke Angst.
    »Mihai …«, sagte sie leise. »Gefällt es dir nicht bei uns?«
    Michael schluckte. Sein Hals war wie zugeschnürt. Er nickte und würgte an den Worten.
    »Du kennst Deutschland nicht.«
    »Ich habe Angst vor Deutschland.«
    »Hast du auch Angst vor mir?«
    Sie schüttelte stumm den Kopf und weinte plötzlich. Aber seine Hand mit dem Federhalter ließ sie nicht los.
    »Du bist nicht Deutschland«, sagte sie leise.
    »Denk, ich bin ein Stück von ihm.« Er machte die Hand von ihrem Griff frei, beugte sich über die Futterkiste, las die Überschrift des Blattes ›Antrag auf Rückführung von Ausländern in ihre Heimatländer‹ und unterschrieb mit großen klobigen Buchstaben.
    Iwan Solempu nahm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher