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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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sie.
    Die Gräfin bleibt auf dem letzten Treppenabsatz stehen.
    »Kleines, weil wir dich brauchen und weil du uns nicht traust. Versuch nicht, es zu leugnen. Ich würde uns auch nicht trauen, wenn ich du wäre.«
    »Und wofür braucht ihr mich?«
    Pia schaut die Treppe runter, sie sagt, sie sollte eigentlich nicht darüber reden. Natascha würde ihr das nie verzeihen.
    »Wir haben eine Bitte an dich«, flüstert sie. »Es ist eine Bitte, die nur du uns erfüllen kannst. Der Zar und Kolja dürfen nichts davon erfahren. Es ist unser kleines Geheimnis.«
    Sie kommt mit ihrem Mund nahe an Monas Ohr.
    »Wir wollen, dass du uns mit in deine Erinnerung nimmst.«
    Sie weicht zurück und lächelt.
    »Und damit meine ich nicht Irland und deine Kindheit«, schiebt sie hinterher.
    »Ihr wollt zu Königin Theia?«
    Pia nickt.
    »Zeig uns ihre Welt«, sagt sie. »Zeig uns, wie es damals war. Es wäre ein Geschenk ohnegleichen, wenn du für uns diese Tür für eine Weile öffnen würdest. Nur für eine kleine Weile, Mona, mehr verlangen wir nicht.«
    »Und dann?«
    »Du hast erzählt, wie du Lazar an deine Schwestern ausgeliefert hast. Liefere uns an deine Erinnerung aus. Lass uns von hier weggehen. Wir sind alt, wir haben hier keine Zukunft mehr. Erik ist mit den Flügeln verschwunden und der Zar wird ihn nicht schnell genug finden. Die Familie stirbt, Mona. Es bleibt uns nur noch dieser eine Tag, dann sind wir nicht mehr. Du bist die Zukunft, und wir sind zu alt, um sie mit dir zu teilen. Deswegen bitte ich dich, denk darüber nach, befreie uns.«
    Mona will was sagen, Pia hebt die Hand, sie will jetzt keine Antwort hören.
    »Denk darüber nach und lass uns nach der Beerdigung sprechen.«
    Sie umarmt Mona, und es fühlt sich an, als würde ein Gerüst aus Haut und Knochen sie umarmen. Mona schiebt die Hand in die Jackentasche der Gräfin und findet den Zimmerschlüssel und öffnet ihre Augen wieder und ist aus der Erinnerung zurückgekehrt und sitzt auf dem Bettrand im Zimmer und spürt das kalte Metall des Schlüssels in ihrer geschlossenen Hand.
    Es ist an der Zeit, dass sie hier verschwindet.
    Mona legt ein Ohr an die Tür. Der Schlüssel ist feucht von ihrem Schweiß. Aus dem Erdgeschoss ist noch immer der Fernseher zu hören. Mona wischt den Schlüssel an ihrem T-Shirt ab und will eben die Tür aufschließen, als sie das Rufen hört.
    Leise.
    Schwach.
    Sie tritt von der Tür zurück und rennt zum Fenster.
    Und da sind sie und Mona versteht es nicht. Da stehen ihre Mädchen in einer Reihe vor der Villa und schauen die zwei Stockwerke zu Mona hoch. Ihre Stimmen sind nur ein Wispern. Aber ihr müsstet doch bei Lazar sein, denkt Mona und öffnet das Fenster. Es hilft, ihre Schwestern sind deutlicher zu hören. Und die toten Mädchen sagen:
    Es tut uns leid, wir konnten nichts tun.
    Mona spürt den Luftzug hinter sich.
    Und die Mädchen sagen:
    Dreh dich nicht um .
    Mona dreht sich um.
    Die Zimmertür ist offen und ein Gespenst von einem Mann steht im Türrahmen. Ein Auge ist die Nacht, ein Auge ist der Tag. Die Wangenknochen stehen kantig hervor, der Mund zittert, die linke Hand ist eine Faust, die sich öffnet und wieder ballt, öffnet und wieder ballt. Das Gespenst rührt sich nicht vom Türrahmen. Dann spricht es, und seine Stimme ist ein gebrochenes Leben, und seine Stimme ist ein Schatten, der kein Licht kennt.
    »Ich bin hier, um dir ein Märchen zu erzählen«, sagt Lazar.

MOTTE
    U nd so endete alles.
    Der Friedhof war verlassen, die Trauernden verschwunden, ein Pappbecher bewegte sich träge im Wind. Keine Autos, die mit laufendem Motor warteten, keine Gärtner, die ihre Arbeit machen mussten. Alles war getan, alles war gesagt, es war vorbei.
    An einem der Wasserbecken stand eine Frau und füllte ihre Gießkanne. Das Wasser trommelte auf den Boden und klang wie Regen auf einem Wellblechdach. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, ein Eichhörnchen lief einen Baum hoch und schaute verkehrt herum in die Gegend. Es war die reinste Idylle, bis ein Auto angerast kam und mit quietschenden Reifen vor dem Friedhof hielt.
    Lars war als Erster draußen, rannte um den Wagen herum und half Esko beim Aussteigen. Esko sagte, es würde schon gehen, dabei spürte er, dass sich die Wunde wieder geöffnet hatte. Rike kam zu Hilfe. Die Frau am Wasserbecken bekreuzigte sich, als sie die drei kommen sah, und rannte davon, ohne ihre Gießkanne mitzunehmen.
    »Scheiße«, sagte Lars, als sie an meinem Grab ankamen.
    »Wo ist er?«,
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